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Irrliebe

Irrliebe

Titel: Irrliebe
Autoren: Klaus Erfmeyer
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Zeit nehmen, in den Menschen hineinschauen. Diamanten wollen behutsam entdeckt werden. Daniel war nicht die erste Wahl.«
    »Aber du hast ihn dir ausgesucht«, erinnerte Marie.
    »Im Internet, ich weiß«, nickte Franziska. »Es ging zu schnell. Ich war unüberlegt. Nun werde ich es nicht mehr über das Internet machen. Schon deswegen nicht, weil Daniel ständig am Computer sitzt und ihm dort nichts verborgen bleibt. – Nein, ich werde den klassischen Weg gehen: Kontaktanzeige und Antwortbrief. Da sieht man Handschriften mit ihren Schwingungen, Haken und Flüchtigkeiten, teure Tusche, die phantasielos vergeudet wird, und einfache Kugelschreiberschrift, mit denen sinnliche Worte wie Wolken auf das Papier gezaubert werden. Karierte DIN-A4-Blätter aus den Rechenblöcken oder stilvolles duftendes Briefpapier. Es sollen Sternenmeere aufs Papier fließen, die mein Innerstes berühren. Ich erwarte ernsthafte Bewerbungen, Marie!« Sie lächelte kindlich.
    »Franziska …«, hob Marie wieder an.
    »Du selbst hast damals gesagt, dass ich zu schnell aufgegeben habe«, unterbrach Franziska. »Ich habe mich geändert, Marie. Ich bin geduldig geworden, verzweifle nicht, wenn etwas nicht sofort klappt. Du würdest dich wundern, wenn du mich heute kennenlerntest.« Franziska stemmte ihre Hände in die Hüften. »Eine neue Franziska Bellgardt!«, versicherte sie. »Ich brauche nur einen Briefkasten, Marie, das ist das Einzige, worum ich dich bitten möchte.«
    Marie schüttelte den Kopf.
    »Ich kann die Antworten auf die Anzeige nicht zu mir nach Hause kommen lassen«, erklärte Franziska vorauseilend. »Du weißt schon: Daniel …«
    »Warum trennst du dich nicht von ihm, nimmst dir eine neue Wohnung und lässt die Post dorthin kommen?«, fragte Marie.
    »Schulden«, antwortete Franziska knapp. »Daniel hat derzeit nur einen 400-Euro-Job. Ich verdiene auch nicht viel. Eine eigene Wohnung geht jetzt wirklich nicht. – Ich würde dich nicht bitten, wenn es anders ginge! Es gibt keinen Menschen außer dir, dem ich mich anvertraue, und ich glaube, du kennst mich mit allen Stärken und Schwächen, Marie. Für dich besteht kein Risiko. Ich gebe die Anzeige unter deinem Namen bei Kult-Mund auf. Sie erscheint als Chiffre-Inserat. Die Zuschriften gehen an deine Adresse, und ich hole sie mir bei dir ab. Selbstverständlich bezahle ich das Inserat.«
    Marie schüttelte den Kopf.
    »Es gibt sonst niemanden, den ich um diesen Gefallen bitten könnte«, fuhr Franziska unbeirrt fort. »Meine Eltern wohnen seit einiger Zeit in Osnabrück. Es wäre zu umständlich. Außerdem sollen sie noch nicht wissen, dass ich jemanden suche. Sie mögen Daniel sehr. Es gibt niemanden, dem ich sonst vertraue. Ich suche nur das Glück, Marie!« Franziska hielt prüfend inne. »Ich schwöre, dass ich dir und deinem Stephan nicht zur Last fallen werde«, setzte sie nach. »Wenn Post kommt, meldest du dich einfach per SMS und schreibst mir, wann ich sie abholen kann. Kein Treffen, kein Reden, versprochen! Ganz unkompliziert! Ich will nur endlich mein Leben in die Hand nehmen, Marie. Sei froh, dass du deinen Prinzen gefunden hast. Ich leider noch nicht. Man findet ihn nicht auf der Straße oder auf der Arbeitsstelle. Aber irgendwo gibt es den, mit dem es funktioniert. Meinen Mr. Chiffre. – Oder gönnst du mir kein Glück?«
    »Franziska!« Marie lief rot an.
    »Du musst dich nicht sofort erregen, Marie! Es ist nur ein kleiner Gefallen, um den ich dich bitte. Ist es nicht letztlich ein Dienst, den du mir irgendwie schuldest? Hast du dir jemals darüber Gedanken gemacht, wie sehr ich darunter gelitten habe, als du dich zurückgezogen und mir aus dem Weg gegangen bist?« Franziska standen plötzlich Tränen in den Augen. »Meinst du nicht, dass ein ehrliches Wort besser gewesen wäre als dein Abschlussbrief, in dem du alles geschrieben hast, was du mir nicht direkt ins Gesicht zu sagen wagtest? Briefe sind einfach, Marie. Man bekommt keine Widerworte.«
    »Ich wollte dich nicht verletzen, Franziska«, verteidigte sich Marie matt.
    »Das sagt sich leicht«, rügte Franziska spitz. »Ich habe auf dich gebaut. Du wusstest, dass ich Hilfe brauche. Hilfe, Marie. Aber du weißt nicht, wie es ist, auf Hilfe angewiesen zu sein. Du musstest nie Kämpfe austragen. Aber ich möchte nicht alte Wunden aufreißen. Vielleicht habe ich dich zu sehr bedrängt. Das tut mir leid, wirklich. Ich vertraue dir noch immer, Marie, ganz gleich, welche Fehler du gemacht hast. Vielleicht hänge
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