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Irrliebe

Irrliebe

Titel: Irrliebe
Autoren: Klaus Erfmeyer
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ich so an dir, weil du mich in die Schranken weist.«
    Marie mied es, auf Franziska einzugehen. Sie merkte, wie sich Franziska erneut ihrer bemächtigte, und schaffte es dennoch wieder nicht, sich von ihr zu lösen. Marie wollte dem Netz entgehen, das Franziska abermals über sie zu werfen suchte, doch sie scheute die Konfrontation und gab ihrem Drängen nach. Sie würde Franziskas Briefkasten sein, ihr noch diesen einen Gefallen tun, abgelten, was sie Franziska angetan haben könnte und wofür sie sich wieder verantwortlich fühlte. Sie schaffte es nur, sich für diesen Moment Franziska zu entziehen und durch Nachgeben einer bohrenden Diskussion zu entgehen. Der Kontakt zu Franziska würde sich nicht verlieren, er konnte nicht einschlafen, sondern musste wie ein Geschäft abgewickelt und übernommener Verantwortung Rechnung getragen werden. Marie half sich mit der Erklärung, dass ihr Franziska leidtat.
    Nach ihrer Rückkehr von dem Klassentreffen erzählte Marie erstmals Stephan von Franziska. Sie berichtete im Detail von einem Menschen, dem sie sich nicht gewachsen fühlte.
    »Du musst nur Nein sagen«, meinte Stephan, als sie geendet hatte.
    Marie lächelte. Sie wussten beide, dass Stephan an ihrer Stelle noch weniger hätte widerstehen können. In der Zeit ihres Zusammenseins hatte sich Marie oft als die Stärkere und Konsequentere erwiesen. Stephan schleppte aus vergangenen Zeiten noch manche Freundschaften und Bekanntschaften weiter, deren Substanz sich verflüchtigte, weil die Wege, die man einst gemeinsam beschritt, sich unbemerkt geteilt und voneinander entfernt hatten, ohne dass jemand schuldig war. Während Marie dies für sich akzeptierte und sich neu orientierte, überspielte Stephan die Veränderungen, die er nicht wahrhaben wollte. Der Unterschied war, dass zwischen Marie und Franziska keine Nähe verloren gegangen, sondern das Fremde und auch eine heimliche Rivalität die Basis geblieben war, aus der heraus Franziska Marie geschickt in die Pflicht zu nehmen verstand.
     
    Anfang August erhielt Marie im Abstand von wenigen Tagen einige großformatige Briefsendungen aus der Redaktion von Kult-Mund. Es waren drei oder vier prall gefüllte DIN-A4-Umschläge, in denen Marie eine Vielzahl von Briefen kleineren Formats erfühlte. Es mussten die Zuschriften auf das Inserat sein, das Franziska unter einer Chiffrenummer bei Kult-Mund veröffentlicht hatte. Marie unterrichtete Franziska wie verabredet per SMS, und sie holte sich die ungeöffneten Umschläge bei Marie ab. Franziska, die keinen Führerschein besaß, kam mit der Straßenbahn und nahm die Post von Marie an der Wohnungstür entgegen. Sie wog die Umschläge abschätzend in der Hand, ertastete den Inhalt und verschwand wieder, ohne dass sie mit Marie bei diesen Gelegenheiten viele Worte wechselte.
    »Ich halte mich an unsere Absprache«, sagte Franziska bei ihrem letzten Besuch, als wollte sie die Einhaltung eines Vertrages bestätigen, der ihr lästig und unvernünftig erschien, rannte die Treppen hinunter und winkte flüchtig zurück.
    Marie hörte nie wieder etwas von Franziska.
    Als Marie am 17. Oktober von Kult-Mund einen weiteren Brief mit einer Zuschrift erhielt, reagierte Franziska auf Maries Nachricht nicht. Sie legte den Brief ungeöffnet in einer Schublade zwischen ihren Schreibutensilien ab.
     
     

3
    Franziska Bellgardt starb am späten Abend des 23. Oktober. Es war ein Freitag. Marie und Stephan erfuhren am Nachmittag des 25. Oktober davon, als sie unangemeldeten Besuch von einem Staatsanwalt erhielten. Es war ein Mann Anfang 40 mit schmalem Gesicht und dünnem Oberlippenbart, stilvoll gekleidet, höflich und mit guten Umgangsformen. Staatsanwalt Bekim Ylberi fasste die bekannten Fakten nüchtern wie einen Sachbericht zusammen: »Frau Bellgardt ist im Bahnhof Dortmund-Kurl auf dem Richtung Hauptbahnhof führenden Gleis von einem dort durchfahrenden Regionalexpress erfasst und rund 300 Meter mitgeschleift worden. Das war gegen 22.30 Uhr. Sie muss sofort tot gewesen sein.« Er zückte ein Notizbuch aus seinem Sakko und sah prüfend auf.
    Marie und Stephan saßen starr auf ihrer Couch und hielten sich still an der Hand. Die Worte des Beamten wirkten bleiern und unwirklich nach.
    »Nach Aussage des Lebensgefährten von Frau Bellgardt sind Sie ihre Freundin gewesen«, fasste Ylberi vorsichtig nach.
    »Wir kannten uns aus der Schule«, relativierte Marie leise.
    »Sie standen jedenfalls mit ihr in Kontakt«, stellte Ylberi fest. »Auf dem
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