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Irrfahrt und Heimkehr des Odysseus

Irrfahrt und Heimkehr des Odysseus

Titel: Irrfahrt und Heimkehr des Odysseus
Autoren: Franz Fuehmann
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können. Das Salzwasser troff ihm aus Mund und Nase, sein Atem ging kurz, und seine Haut war vor Kälte erstarrt. Als er endlich wieder zur Besinnung kam, küsste er die Erde, dankte den Göttern für die glückliche Rettung und warf Leukotheas Schleier ins Meer zurück, das ihn sofort in die Tiefe zog. Dann raffte er all seine Kräfte zusammen und wankte bis zu einem Wäldchen, um sich vor dem schneidenden Nordwind zu schützen, und dort, im Wurzelgewirr zweier ineinanderverwachsener Ölbäume, richtete sich der Übermüdete ein Lager aus Moos und Laub, deckte sich mit abgefallenen Blättern zu und schlief, die begütigende Hand Athenes auf seiner Stirne spürend, nach der wilden Fahrt friedvoll und ruhig ein.

Odysseus vor Nausikaa
    Als Athene sah, dass ihr Schützling unbehelligt schlummerte, eilte sie zur Stadt der Phaiaken – denn die meisten Völker waren damals nur in einer Stadt versammelt – und schwebte ins Schlafgemach der schönen Nausikaa, der Tochter des Königs Al kinoos. Das Schlafgemach war wohl verschlossen, allein Athene durchdrang die Mauern, so wie das Licht das feste Fenster durchdringt. Sie nahm die Gestalt der Lieblingsgespielin Nausikaas an, beugte sich über den Kopf der Schlafenden, berührte leicht ihre Augen, so dass das Mädchen nun durch die geschlossenen Lider sehen konnte, und sprach: »Was bist du doch für ein lässiges Mädchen, Nausikaa! Sieh nur, wie schlampig und verschmutzt deine kostbaren Kleider herumliegen, und dabei ist dein Hochzeitstag doch schon so nahe! Lass uns gleich in der Früh zum Strand fahren und tüchtig waschen; ich will dir auch ordentlich zur Hand gehn!« Also redete Athene zu der Schlafenden, dann kehrte sie zum Olymp zurück.
    Am Morgen entsann sich Nausikaa ihres seltsamen Traumes und eilte zu ihrem Vater Alkinoos. »Väterchen, liebes«, sprach sie und kraulte seinen weißen Bart, »lass mir doch einen Wagen bespannen, dass ich meine Hochzeitskleider zum Strand fahre und einen Waschtag halte; ich will auch deine Wäsche und die meiner Brüder mitnehmen, das geht dann schon in einem hin!«
    Alkinoos freute sich über den Fleiß seiner Tochter und gewährte ihr gern, was sie verlangte. Schnell war ein Wagen bespannt und beladen, und rasch war auch eine Schar von Gespielinnen zur Stelle, denn die Arbeit sollte ja fröhlich verrichtet und die Gelegenheit zum Baden wohl genutzt werden. Die Mutter legte den Mädchen einen Weidenkorb voll Honiggebäck und Obst auf den Hemdenstapel und stellte eine Flasche Olivenöl dazu, damit sich das junge Volk nach dem Bad salben und vor dem Sonnenbrand schützen könne. Dann ergriff Nausikaa die purpurnen Zügel, zog die Peitsche durch die Luft, dass es schnalzte und knallte, und mit Geschwatz und Gekicher und hellem Lachen, denn es waren ja alle noch halberwachsene Mädchen, ging die Reise durch einen Hain von Mandelbäumen hinab an den Strand.
    Dort angekommen, spannten die Mädchen die Zugochsen aus und ließen sie in einem nahen Kleefeld weiden, dann trugen sie die Wäsche in eigens dafür ausgehobene und mit Steinen ausgelegte Kuhlen, wässerten sie, bestreuten sie mit Asche und Lauge und stampften sie dann kräftig mit den Füßen, so wie manche Weinbauern die Mai sche mit ihren Füßen treten. Dann spülten sie die gereinigten Stücke im Meer und breiteten sie schließlich, mit Kieseln beschwert, zum Trocknen aus.
    So war denn die Arbeit getan, und es begann das Ver gnügen; die Mädchen legten ungescheut, denn sie wussten ja keinen Beobachter nahe, ihre Kleider ab, sprangen nackt ins Wasser und tummelten sich dort wie die Delphine, schwammen und tauchten und haschten und neckten einander oder ließen sich von den sanften Wogen schaukeln wie weiße Seerosen, und als sie genug gebadet hatten, schwammen sie an Land und salbten sich den Leib von der Stirn bis zum Fuß. Dann wurde das Weidenkörbchen geplündert, und es wurde geschmaust und gelacht und geschwatzt und gesungen, und zum guten Beschluss wurde Ball gespielt.
    Als Athene, die sich wieder eingefunden hatte, aber sah, dass Odysseus immer noch schlief, während einige der Mädchen schon die Wäsche auflasen und falteten und andere die Ochsen schon wieder anschirrten, lenkte sie den Ball, den Nausikaa gerade einer Gespielin zuwarf, zu einem Meerstrudel hin, der ihn schmatzend verschlang. Da kreischten die Mädchen auf, denn der Ball war mit Goldfäden durchwirkt und überaus kostbar, und dies Gekreisch und Geschrei weckte Odysseus auf. Weh mir, dachte er sofort,
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