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Irrfahrt und Heimkehr des Odysseus

Irrfahrt und Heimkehr des Odysseus

Titel: Irrfahrt und Heimkehr des Odysseus
Autoren: Franz Fuehmann
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jammerte; Odysseus aber schloss ihn in seine Arme und sprach: »Ich bin’s ja selbst, mein Väterchen, ich bin’s, Odysseus, dein Kind, heil aus dem Krieg und zehn Jahren Irrfahrt heimgekehrt!« Und er zeigte Laertes die fingerbreite, fast kreisrunde Narbe des Eberzahnstoßes und nannte die Bäume, die ihm, als er Kind war, Laertes geschenkt hatte: dreizehn Birnbäume und zehn Bäume mit rotbackigen Äpfeln und fünfzig fruchtbare Rebenstöcke, und da Laertes dies hörte, sank er in Ohnmacht, und sein Sohn fing ihn auf und drückte ihn an das Herz, bis er wieder erwacht war. Dann aber wollte der Jubel des Glücks kein Ende nehmen.
Kampf und Versöhnung
    In der Stadt lief indes das Gerücht um, die Freier wären allesamt schmählich erschlagen, und es erhob sich ein Lärm und wuchs zum Tumult. Das Volk lief im Palast zusammen, trug die Toten hinaus, und jeder bestattete klagend die Seinen, und auch die Fischer, die von den Inseln gekommen waren, um auf dem Markt ihre Fänge zum Tausch zu bieten, drängten sich um das Königshaus. Eupeithes aber, der Vater des Helden Antinoos, den Odysseus als Ersten getötet hatte, trat vor die Versammlung und hob an zu reden.
    »Freunde«, so sprach er, »der Trojanische Krieg hat uns der besten und kräftigsten Männer beraubt, und jetzt ist der Mann, der sie nach Troja geführt, allein zurückgekommen, hat die Blüte unserer Jugend in den Staub gesandt und glaubt nun, durch feige Flucht sich retten zu können! Eilen wir ihm nach und hau en wir ihn in Stücke, keiner von uns könnte ja sonst in Ehren weiterleben!« So sprach er, und das meiste Volk stimmte ihm zu und brüllte nach Rache, aber da traten Medon, der Herold, und Phemios, derSänger, denen Odysseus das Leben geschenkt hatte, aus dem Palast, und Medon sprach: »Handelt nicht vorwitzig, Freunde! Nicht aus eigener Kraft hat Odysseus die Freier besiegt, ein unsterblicher Gott hat ihm in Mentors Gestalt zur Sei te gestanden; wie hätte er sonst die Schar der tapfren Jünglinge überwältigen können! Hütet euch, dass euch von den Himmlischen nicht ein Gleiches geschehe!«
    Entsetzen ergriff die Versammelten, und ein Greis, Halitherses, dem die Götter die Gabe des Blicks in die Zukunft geschenkt hatten, trat vor sie und sprach: »Zu lange hast du die Greuel der Freier geduldet, Volk von Ithaka, Same, Zakynthos und Dulichion; zu lange hast du tatenlos zugesehen, wie sie das Gut des Königs verprasst und das Land verheert und die wehrlosen Mägde geschändet haben; zu lange hast du geduldet, dass sie die edle Fürstin bedrängt und Odysseus geschmäht und Telemach gehöhnt haben, als sei er ein läppischer Tor! Hättet ihr euren Söhnen gewehrt, solche Frevel zu häufen, brauchtet ihr heute nicht um sie zu klagen und Staub auf eure Häupter zu streun! Geht darum auseinander,Volk der vier Inseln, ehe ihr euch selbst ins Verderben stürzt!«
    So sprach der greise Seher, und die Hälfte der Versammlung folgte betroffen seinem Wort und ging in die Häuser; die andern aber eilten zu ihren Rüstungen, wappneten sich und ordneten sich unter Eupeithes zur Streitmacht. Athene aber sah vom Olymp herab, wie sich die Rächer zusammenfanden, und sie bat Zeus, ihren Vater, den König der Götter, um einen Rat.
    »Ich will dir das Beste künden«, erwiderte Zeus, »da nun Odysseus die ruchlosen Freier bestraft hat, möge er als König auf Ithaka herrschen; dem Volk aber will ich die Erinnerung an all die getöteten Brüder und Söhne nehmen, dass kein Herz und niemandes Ehre mehr verletzt sei und kein Rachegedanke die Sinne mehr trübe!«
    Indes hatte die Kampfschar schon fast das Landgut des greisen Laertes erreicht; man hörte schon das Klirren ihrer Kettenrüstung und ihr lautes Getrappel auf dem steinigen Pfad. Als Odysseus dies wahrnahm, rief er die Freunde zu den Waffen, und auch der greise Laertes legte die Rüstung an und mit ihm sechs Krieger, und so zogen sie, ein elfköpfiges Häuflein, tapfer dem übermächtigen Feind entgegen.
    Athene aber nahm wieder die Gestalt Mentors an und trat zu dem greisen Laertes und sagte: »Fasse die Lanze, Lieber, und erflehe von den Göttern noch einmal die Kraft deiner Jugend, dann schleudre die tödliche Waffe gegen den Feind!«
    Also sprach sie, und Laertes fühlte die Kraft seiner Jugend durch seine welken Adern strömen; er fasste die Lanze und schleuderte sie weit über die Ebene hin, dem Heer entgegen, das klirrend heranzog, und die Lanze traf den Eupeithes und durchstieß seinen Helm und
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