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Irrfahrt und Heimkehr des Odysseus

Irrfahrt und Heimkehr des Odysseus

Titel: Irrfahrt und Heimkehr des Odysseus
Autoren: Franz Fuehmann
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bösen Scherz mit mir getrieben, hätt ich gezüchtigt; dir will ich um deines Alters willen verzeihen!«
    »Aber Töchterlein, Töchterlein, ich spotte doch nicht«, sagte die greise Amme. »Wie könnte ich je so grausam mit dir verfahren! Odysseus ist wirklich heimgekehrt, er ist jener Fremdling, den alle verhöhnten; Telemach wusste es längst, doch er musste solange das Geheimnis hüten; fasse es,Töchterlein, dein Gemahl wartet in der Halle auf dich!«
    Da quollen der Fürstin Freudentränen aus den Augen; sie sprang vom Lager auf und umarmte die Alte; dann aber stutzte sie und fragte: »Wie ist es möglich, Mütterchen, dass er die Freier alle hat töten können? Sie waren doch in einer so mächtigen Überzahl! Nein, nicht du, liebes Mütterchen,ein Unsterblicher täuscht mich: Er hat die Freier hinweggerafft und dazu des Odysseus Gestalt angenommen; mein armer Gemahl aber liegt fern bei Troja bestattet!«
    »O Töchterlein, liebstes«, seufzte die alte Amme Eurykleia, »wie ungläubig doch dein Herz ist, mein Kind! Hab ich doch selbst mit eigenen Augen die fingerbreite, fast kreisrunde Narbe am Knie gesehen, die ihm der Eber einst mit seinem scharfen Hauer gerissen; dein Gemahl aber hat mich gebeten, zu niemandem, auch zu dir nicht, ein Sterbenswörtchen zu reden. Komm doch, er wartet auf dich in der Halle und wird nicht begreifen, warum du zögerst! Habe ich aber gelogen, Töchterlein, dann bin ich bereit, den kläglichsten Tod zu erleiden!«
    »Mütterchen«, sprach Penelope, »den Ratschluss der Götter werden wir Erdenkinder niemals verstehen, und nie werden wir ergründen können, ob sie uns aus Zuneigung oder Groll täuschen und narren. Aber ich will dennoch hinabgehen, die erschlagenen Feinde zu sehen und meinen Sohn Telemach in die Arme zu schließen.«
    Also stieg sie hinab, und ihr Herz war voll Zweifel, ob ein Gott sie versuche oder ein Fremder sie täusche und sie doch noch zuletzt der schändlichsten List erliegen könne, und sie war allein und ohne Rat. So ließ sie sich denn, in der Halle angekommen, am Herd nieder, von dem Bettler im blutigen Lumpengewand durch die ganze Breite der Halle getrennt. Lange saß sie schweigend und musterte den, der vorgab, ihr Gemahl zu sein; sie sah seine edle Gestalt, und sie sah seine Lumpen; sie erkannte Vertrautes in seinen Zügen und erblickte Verändertes nach zwanzig Jahren Kampf und Leid.
    So schwankte sie zwischen Furcht und Jubel und saß reglos wie ein Bildnis aus Erz und schwieg, bis Telemach endlich zu ihr sprach: »Mutter, du böse Mutter, du unempfindliche Seele«, so sprach er und blickte ihr betrübt in die Augen, »warum meidest du meinen Vater und setzest dich nicht neben ihn? Nach zwanzig Jahren ist er ins Heimatland zurückgekehrt, du aber empfängst ihn, als trügest du statt des Herzens einen Stein in der Brust.«
    »Lieber Sohn«, sprach die Mutter, »ich bin ganz im Erkennen gefangen; lange vermochte ich kein Wort zu sprechen noch dem Fremden gerade indie Augen zu sehen. Aber nun will ich’s tun; wir haben ja unsere geheimen Zeichen, die keinem andern bekannt sind, danach will ich forschen!«
    Da lächelte Odysseus, da er dies hörte und sprach: »Sicher sind es die Lumpen auf meinem Leibe, die Penelope verwirren; lass sie drum ruhig forschen, mein Sohn, ich will ihr schon Rede und Antwort stehen. Vorher aber gilt es eins zu bedenken: Wir haben hier viele Männer getötet, die Hunderte von Verwandten und Freun den auf den Inseln beklagen werden; es sind ja die reichsten und stärksten Geschlechter gewesen, die sich um den Königsthron beworben haben. Die Kunde von ihrem Tod wird gewiss bald in die Stadt dringen und das Volk aufrühren. Legt drum bunte Gewänder an und lasst alle Mägde sich festlich schmücken; Musik soll erklingen und der Reigen sich drehen und allem Volk vortäuschen, dass im Palast Hochzeit gefeiert wird. So wird die Stadt ruhig bleiben, bis wir das Landgut unsres Väterchens Laertes erreicht haben; dort wollen wir aufs Neue beraten und Zeus anflehen, uns seinen Beistand zu leihen.«
    So ward es getan; der Palast hallte wider von Liedern und frohem Saitenspiel und den stampfenden Schritten der Tänzer, so dass das Volk, das vorbeiging, die Köpfe schüttelte und sagte: »Sieh da, die ungetreue Penelope! Ist sie nun doch dem Ansturm der Freier erlegen! Wir hätten Besseres von ihr erwartet!«
    Odysseus hatte indes gebadet und sich gesalbt und seine Königsgewänder angetan, und als Penelope ihn nun betrachtete, war sie
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