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Irrfahrt und Heimkehr des Odysseus

Irrfahrt und Heimkehr des Odysseus

Titel: Irrfahrt und Heimkehr des Odysseus
Autoren: Franz Fuehmann
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mächtige Adler sitzt, um eine Ratsversammlung aller Götter einzuberufen. So kamen denn die Himmlischen in ihrer Halle aus Wolken und Luft auf dem Gipfel des hohen Olymp zusammen, um über das weitere Schicksal des Odysseus zu beraten.
    Pallas Athene, die Tochter des Zeus, die Schirmherrin der Stadt Athen und aller Künste und Wissenschaften, die dem verständigen und klugen Odysseus besonders zugetan war und ihm beistand, wo immer sie es vermochte, nahm als Erste das Wort. »Seht, ihr Unsterblichen«, so sprach sie und teilte mit einer Be wegung der Rechten den Nebeldunst, der die Erde und das Meer bedeckte, »seht, Unsterbliche, hinab auf die Insel Ogygia! Schon sieben Jahre schmachtet dort der unglückliche Odysseus in der Gefangenschaft der zauberkundigen Nymphe Kalypso, die ihn zum Mann begehrt und so lang um ihn zu werben gedenkt, bis er sie endlich erhören wird. Sieben Jahre schon widersteht der edle Dulder ihrem Begehren und sehnt sich heim zu seinem Weib und seinem Sohn und seinem Volk und sitzt am Strand und birgt den Kopf in die hohlen Hände und klagt und schluchzt, dass es die stummen Fische jammert – vermögt ihr solch Elend ohne Mitgefühl anzuschauen, ihr, die ihr doch Götter seid? Und seht nun, Unsterbliche, hinab auf die Insel Ithaka! Leer steht der Thron im Königspalast; verwaist liegt das Land und verödet die Fluren; eine Schar von wüsten Freiern, die zuchtlose Jugend des Königreiches, hat sich in Penelopes Palast niedergelassen und wirbt um die Hand der Gebieterin und damit um den Herrschersitz, denn alles Volk hält ja Odysseus für tot. Vier volle Jahre schon vergeuden diese Lotterbuben in schamlosen Gelagen den Reichtum des Landes, schlachten das Vieh ab, leeren den gehüteten Keller, zwingen Knechte und Mägde, ihnen zu dienen, und bald werden sie auch die edle Penelope, die ihnen vier Jahre tapfer widerstanden hat, zwingen, mit einem der Freier das Lager zu teilen. Erbarmt euch, Unsterbliche, wenigstens Penelopes, wenn ihr schon Odysseus mit Zorn verfolgt. Erbarmt euchdes Jünglings Telemach, er barmt euch des Volkes von Ithaka! Erbarmt euch auch des Dulders selbst!«
    So sprach Athene, und die Götter hörten sie an, und Tränen traten in ihre Augen, denn die Götter Griechenlands litten und liebten wie Menschen auch. Sie alle sprachen für die Heimkehr des Odysseus, und schließlich erhob sich Zeus, das Urteil zu sprechen.
    »Poseidon wolle seinen Groll bezähmen und unserem Willen gehorsam sein«, verkündete er. »Odysseus soll nun in die Heimat zurückkehren und die Freier vertreiben, darum möge meine Tochter Athene nach Ithaka eilen, um Telemach Mut und Kraft zu geben und ihn auf die Rückkehr des Vaters vorzubereiten; Hermes aber, der Götterbote mit den geflügelten Schuhen, möge nach Ogy gia reisen und der Nymphe Kalypso unser Gebot überbringen, Odysseus freizugeben und ihm zur Heimkehr zu verhelfen. So soll es unser Wille sein!«
Telemach
    Es geschah, wie Zeus es ausgesprochen. Athene eilte nach Ithaka und suchte in der Gestalt eines Sterblichen, des väterlichen Freundes Mentor, Telemach auf, der traurigen Herzens unter den zechenden Freiern weilte, die in der hohen Halle auf Schaffellen hockten und sich mit Brettspielen die Zeit vertrieben. Als der Jüngling den Fremden unterm Tor stehen sah, sprang er auf und eilte zu ihm, ihn in den Palast zum Mahl zu laden. Die Göttin in Mentors Gestalt folgte der Einladung gern. Telemach reichte dem Gast von den besten Speisen und würzigsten Weinen und beklagte dabei bitterlich den Tod des Vaters und das Hausen der Freier; Athene aber bedeutete ihm, es sei wohl möglich, dass sein Vater noch lebe und zurückkehren und seinem Sohn im Kampf gegen die Freier beistehen werde, den Telemach mit eigener Kraft nun beginnen müsse. Da sie dies sprach, berührte sie die Schulter des Jünglings, und Telemach fühlte einen Strom von Mut und Zuversicht in sein Herz fließen; es war ihm, als spannten sich all seine Muskeln und Nerven,und er atmete tief und hob das Haupt. »Ermanne dich, Telemach«, sprach Athene, »du bist doch schon in dem Alter, da man zu den Kriegern zählt! Warte drum nicht tatenlos ab, ob der Vater zurückkehrt, rufe schon morgen das Volk zur Beratung zusammen und verlange, dass die Rotte der Freier den Palast räumt und, statt herumzuprassen, die Felder und Äcker bestellt! Dann aber rüste noch zur Nacht ein Schiff und eile nach Pylos und von dort weiter landein nach Sparta, um nach deinem Vater zu forschen. Vielleicht
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