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Irrfahrt und Heimkehr des Odysseus

Irrfahrt und Heimkehr des Odysseus

Titel: Irrfahrt und Heimkehr des Odysseus
Autoren: Franz Fuehmann
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er Odysseus – er erkannte ihn sofort – auf einem Segler erblickte, und das Herz grimmte ihn, und er schüttelte zornig das Haupt. Also haben die Götter mich übertölpelt, da ich in dem fernen Äthiopien weilte, dachte er wütend, aber ich bin, mein Odysseus, gerade zur rechten Zeit gekommen; du sollst, elender Frevler, wahrhaftig noch Jammers die Fülle kosten!
    Also dachte er und griff mit der Linken in den Himmel und fegte alles Gewölk zusammen; zugleich rührte er mit der Rechten, in der er den Dreizack hielt, das Meer wie einen Topf, bis es wallte und siedete, und er presste die Wolken aus wie Schwäm me, dass die stürzende Flut den Tag verdüsterte, und zugleich brüllte er nach allen Winden, und sie schnoben und brausten und heulten gehorsam heran, und Meer und Sturm und Sturzflut vom Himmel mischten sich ineinander und klatschten mit einem ungeheuren Schlag über Odysseus’ Floß. Da wusste der Dulder, dass Poseidon ihm nachstellte, und wollte mit bittren Worten sein Schicksal verfluchen, aber er hatte die Lippen noch nicht geöffnet, da donnerte die tosende Woge schon auf ihn nieder und schlug ihm das Steuer aus den Händen, undda krachte auch schon der Mastbaum zusammen und zerknallte das Segel und zersplitterte den Bord; bald in die Höhe geschleudert, bald in die Tiefe gedrückt, trieb das Floß hilflos zwischen Wasser und Wasser in düsterer Nacht, und das purpurne, mit Goldstaub durchwirkte Gewand sog sich voll Salz und Flut und wurde schwer wie ein Stein. Wie der Herbststurm verdorrte Disteln über die Steinhalden wirbelt, so wirbelten die Stürme den Schwergeprüften, und er wäre verloren gewesen, wenn nicht Leukothea, eine der zahlreichen Meeresgöttinnen, die sich in der Ägäis mit Delphinen und muntren Seepferdchen tummeln, ob des Sturmes verwundert aus der Tiefe getaucht und bei dem Anblick des Ärmsten von Mitleid angerührt worden wäre. Wie ein Wasserhuhn schoss sie aus den strudelnden Schnellen, setzte sich auf das Floß und sprach mit menschlicher Stimme: »Unseliger, wie sehr musst du unsern mächtigen Herrscher Poseidon beleidigt haben, dass er dir also zürnt! Aber die Himmlischen haben ja beschlossen, dich zu retten, und also will auch ich mich an diesen Spruch binden, wenngleich mir Poseidon dann zürnen wird. Wirf deine Kleider ab, sie ziehen dich ja nur in die Tiefe, und nimm statt ihrer diesen Schleier und schwimme getrost und tapfer dem Land zu; der Schleier wird dich tragen, als wär er ein Gürtel von Kork! Wenn du aber das Ufer erreicht hast, wirf ihn ins Meer zurück; die Wellen werden ihn mir dann wiederbringen!«
    So sprach die Göttin und löste den Schleier von ihrer Brust und fuhr wie ein Wasserhuhn wieder zurück in die gurgelnde Tiefe; Odysseus aber dachte, sie, die Meeresgöttin, stehe trotz ihrer Rede aufseiten Poseidons und wolle ihn mit einer List verderben. Er harrte drum auf dem mast- und brüstungslosen Floß aus; Poseidon aber, der in seinem Wüten Leukothea nicht bemerkt hatte, stieß mit dem Dreizack nach dem Wrack und zerspellte es zu tausend Splittern, die das Wasser hinwegschwemm te, wie der Wind die Spreu von der Tenne fegt. So blieb Odysseus nichts anderes übrig, als, auf einem Balken reitend, die Kleider vom Leib zu streifen und, als auch der Balken unter ihm wegglitt, sich in die rasende Flut zu stürzen und, mit kräftigen Stößen die Wogen teilend, dem Land zuzuschwimmen.
    Als Poseidon ihn so schwimmen sah, da lachte er wild und schrie: »Immer versuche dein Heil mit Schwimmen, du Narr! Es wäre besser, duließest dich gleich von den Wassern begraben und fändest einen schnellen Tod! So aber schwimme denn, schwimm, bis die Kräfte dir schwinden! Ich glaube, diese Stunde wird die bitterste deines Lebens sein!« Dann brauste er, ohne sich weiter um das Menschlein zu kümmern, seiner Wohnung aus Kristall und Korallen am Meeresgrund zu.
    Athene aber, die heimliche Schützerin des Weitgereisten, stieg eilends vom Himmel herab und stillte die Winde bis auf den Nordwind, der Leukotheas Schleier wie ein Segel blähte und den Leidgeprüften zwei Tage und Nächte lang durch die langsam sich glättende See vor sich herblies und ihn schließlich an den steinigen Strand des Phaiakenlandes warf. Der Schiffbrüchige wäre von den messerscharfen spitzen Kieseln zerschlitzt worden, hätte Athene ihn nicht aufgefangen und sanft in den weißen Sand hinter der Kieselküste gebettet, wo er, zu Tod erschöpft, eine Zeitlang liegenblieb, ohne sich rühren zu
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