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Irrfahrt und Heimkehr des Odysseus

Irrfahrt und Heimkehr des Odysseus

Titel: Irrfahrt und Heimkehr des Odysseus
Autoren: Franz Fuehmann
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zu welchem Volk bin ich wieder verschlagen worden? Sind es gottlose Räuber und fürchterliche Riesen, oder hat mich das Geschick endlich zu einem frommen Volk geführt, dem das Gastrecht heilig ist? Ich höre Gekreisch und Geschrei von Mädchen – bin ich bei den Nymphen gelandet oder etwa bei den grausamen, männermordenden Amazonen? Einerlei; ich muss selbst sehen, woran ich bin!
    Er raffte sich auf, brach einen Ölzweig ab, seine Blöße zu decken, denn er hatte ja seine Kleider im Meer verloren, und als er so aus dem Gebüsch trat: nackt, den Öl zweig in der Faust, Gesicht und Körper schlammverschmiert, mit wirren verfitzten Haaren und die Augen vom Salzschaumgerötet und triefend, da entsetzten sich die Mädchen und entflohen. Auch Nausikaa wollte enteilen, doch die Göttin Athene legte unsichtbar ihren Arm um die Schulter der Königstochter und hauchte ihr Mut ins Herz, so dass sie stehen blieb und den Fremdling tapfer erwartete, obwohl ihre Knie vor Angst zitterten. Es war Sitte, dass ein Schutzflehender sich vor jener Person, um deren Beistand er bitten wollte, niederwarf, ihre Knie umschlang und in dieser de mütigen Stellung seine Rede begann, allein Odysseus dachte, dass er das holde Mäd chen mit solch dreister Berührung nur schrecken könne, und so blieb er stehen, wo er stand, und hob an zu reden:
    »Hohe«, so sprach er, »wer immer auch du seiest, eine Göttin oder ein Kind der Erde, hilf mir elend Gestrandetem, ich flehe dich an!« Er pries, wie es üblich war, ihre Schönheit und ihren Liebreiz und schilderte der Jungfrau dann seine zwanzigtägige Fahrt durch die Wüste des Meeres, und seine Worte rührten ihr Herz, so dass ihre Angst verflog und sie freundlich nickte, als der Schiffbrüchige sie um ein Tuch bat, damit er sich bedecken und sie ihn zu einer menschlichen Behausung führen könne.
    Nausikaa versprach dem Unglücklichen alle Hilfe. Sie rief ihre Gefährtinnen herbei und gebot ihnen, den schlammüberkrusteten Fremdling zu waschen, zu salben und schließlich mit dem kostbarsten Leibrock und Mantel ihres Vaters zu bekleiden, denn die Phaiaken waren ein frommes Volk und ehrten über alles den Willen der Götter, der das Gastrecht heilig hieß. Die Gespielinnen aber hatten noch immer ihre Furcht nicht überwunden, und Odysseus, der das wohl sah, wollte sie nicht weiter ängstigen. Er nahm die Kleider und den Ölkrug, den Nausikaa in seiner Nähe niedergestellt hatte, dankbar auf und zog sich in eine abgeschirmte Bucht zurück; dort säuberte er sich von Salz und Schlamm, glättete das Haar und salbte Gesicht, Brust und Glieder, und schließlich legte er Leibrock und Mantel des Königs an, und als er sich nun den Mädchen wieder zeigte, erschien er ihnen, die sie doch noch eben ein Meerungeheuer in ihm gewähnt hatten, nun wie ein Gott, und sie staunten über diese wundersame Verwandlung. Nausikaa aber bot dem Gast Speise und Trank an, dann bestieg sie den Wagen mit dem hochgetürmten Wäschestapel und sagteOdysseus, sie werde seine Ankunft ihren Eltern melden; er selbst möge ein Weilchen noch warten und ihr erst in geziemendem Abstand folgen, damit er keinen Klatsch unter dem Volk errege. Dann aber möge er ungescheut den Palast betreten und als Schutzflehender der Königin Arete Knie umschlingen; die freundlichste Aufnahme werde ihm sicher sein. Nachdem sie dies gesprochen, nickte sie dem Gast freundlich zu und trieb dann das Gespann an; Odysseus aber kniete nieder, dankte der Göttin Athene für die glückliche Fügung und flehte sie um weiteren Beistand an. Athene wollte schon zur Erde hinabfahren und sich Odysseus offenbaren, allein ihr Bruder Poseidon stand mit gerunzelten Brauen und zornblitzenden Augen neben ihr und sah grollend auf seinen Feind hinunter, und so wagte Athene es nicht, dessen Flehen zu beantworten, und stand und schwieg.
In der Stadt der Phaiaken
    Nachdem Odysseus eine Weile gewartet hatte, machte er sich auf den Weg zur Phaiakenstadt. Athene hüllte ihn in eine Wolke undurchdringlichen Nebels, damit keiner ihn sehen und etwa durch Schmähungen kränken oder gar zum Kampf herausfordern könne, und als Odysseus solcherart dem Blick Poseidons entzogen und dieser von Athenes Seite gewichen war, eilte die Göttin zur Erde hinab und nahm die Gestalt eines Phaiakenmäd chens an, das am Brunnen vor der Stadtmauer Wasser schöpfte. Odysseus erblickte sie und fragte sie nach dem Palast des Herrschers, und als sie ihm freundlich antwortete, begehrte der Held Näheres über
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