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Irrfahrt und Heimkehr des Odysseus

Irrfahrt und Heimkehr des Odysseus

Titel: Irrfahrt und Heimkehr des Odysseus
Autoren: Franz Fuehmann
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erfährst du von seinem Schicksal, wenn nicht, so fahre getrost nach Ithaka zurück, ich werde dir immer Beistand leisten!« Dies aber sprach sie nicht nur, weil sie wusste, die Freier würden Telemach töten, wenn er jetzt daheim bliebe; sie wollte vor allem, dass der Jüngling auf der Meerfahrt und in fremden Landen zum Manne reife. Dann verwandelte sie sich aus der Gestalt Mentors in einen Vogel und flog durch den Kamin himmelwärts. Da wusste Telemach, dass es ein Gott gewesen war, und er fühlte sich gestärkt und gekräftigt wie nie zuvor.
    Am nächsten Tag rief er – was zwanzig Jahre nicht mehr geschehen war – das Volk zur Ratsversammlung zusammen und forderte dort die Räumung des Königspalasts und das Ende der Gelage. Der Freier aber waren über hundert, und so verlachten und verhöhnten sie den jungen Eiferer und kehrten zu Gesang und Tanz und Flötenspiel zurück und befahlen, das Doppelte an Hornvieh zum Festschmaus zu schlachten, als es an andern Tagen üblich war.
    Am Abend stach Telemach heimlich mit zwölf Getreuen in See und steuerte den Hafen von Pylos an. Als die Freier am nächsten Morgen die Flucht Telemachs gewahrten, schrien sie Verrat, und Antinoos, der lärmendste und frechste von ihnen, sprang auf und rief: »Ein Schiff gerüstet, Freunde, und dem Treulosen nachgesetzt! Gestern hat er das Volk wider uns aufgewiegelt; heute fährt er umher, ein Heer gegen uns zu sammeln; morgen bricht er mit fremden Kriegern ins eigene Vaterland ein! Und seine Mutter, die schöne Penelope, ist die Treuloseste von allen: Hat sie sich nicht als Frist bis zur Hochzeit die Zeit ausbedungen, die sie braucht, ihr Brautkleid fertig zu weben, und haben wir sie nicht vier Jahre lang Tag um Tag we ben und dennoch nicht fertig werden sehen und um Gründe für solch einWunder gerätselt? Nun liegt alles klar auf der Hand: Eine Magd, die mir sehr zugetan ist, hat die Herrin beobachtet, wie sie zur Nacht heimlich wieder auftrödelte, was sie am Tage gewebt hatte – Freunde, ringsum ist schnöder Verrat am Werk, und der sei nun zu Ende!«
    Die Freier schrien vor Empörung auf, als sie dies hörten. Von einem arglosen Schwätzer hatte Antinoos bald erfahren, dass Telemach nach der Hafenstadt Pylos und dann weiter landein nach Sparta reisen und selben Wegs zurückkehren wolle. Telemach jetzt nachzusetzen sei nicht mehr möglich, meinte Antinoos, der Wind wehe jetzt aus ungünstiger Richtung; man möge aber, so riet er, in die Meerbucht, die Ithaka von Same trennt, einen Segler auf Lauer legen und den Jüngling samt seinen Begleitern auf der Rückfahrt überfallen und erbarmungslos in Stücke haun. Penelope aber wolle man noch eine Frist von vierzig Tagen zugestehen, sich zu entscheiden; habe sie bis dahin ihre Wahl nicht getroffen, möge statt ihrer das Los bestimmen, wer den Platz auf ihrem Nachtlager und Ithakas Königsthron einnehmen solle.
Bei Kalypso
    Hermes eilte, wie die Götterversammlung ihm aufgetragen, zur Nymphe Kalypso. Wie eine Möwe über die Wasser fliegt und von Zeit zu Zeit ihr Gefieder in den Wellen netzt, so flog der Götterbote in Windeseile über das Meer hin, und seine geflügelten Schuh streiften oftmals die Wogenkämme, dass der Gischt bis zu den Wolken sprühte. In den Händen trug Hermes den berühmten, von zwei Schlangenleibern umwundenen Flügelstab, der ihm als Führer diente und der ihn nun über die Unendlichkeit der Wasserwüste zur fernen Insel Ogygia zog.
    Als Hermes das Ufer betrat, war es ihm, als ob er ein Schluch zen und Klagen höre, allein er achtete nicht darauf und drang rasch ins Innre der Insel, bis er vor der Behausung Kalypsos stand. Er fand die Nymphe vor ihrer Wohngrotte sitzen; ihr langes braunes Haar wallte inschöngeschwungenen Locken bis auf die Schultern, und mit ihren schmalen schneeweißen Händen wirkte sie, den Faden von einer goldenen Spule abhaspelnd, ein Festgewand. Auf einem dreifüßigen Herd zu ihren Füßen brannte ein offenes Feuer aus Zedern- und Zitrusbaumscheiten, das ebenso köstlichen Duft wie Wärme spendete. Rings um die Grotte erhob sich ein Hain von Pappelweiden, Zypressen und Erlen, in deren grünenden Kronen Habichte, Eulen und Falken nisteten, und über der Grotte spross, sie überwuchernd, ein Weinstock, der schwere purpurfarbene Trauben trug. Vier Quellen ergossen sich aus dem Felsen und strebten zum Meer hin, und wo immer sie über die Erde flossen, keimten an ihren Rändern Klee, Eppich und Rosmarin.

    Staunend stand Hermes vor dieser
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