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IRRE SEELEN - Thriller (German Edition)

IRRE SEELEN - Thriller (German Edition)

Titel: IRRE SEELEN - Thriller (German Edition)
Autoren: Graham Masterton
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Aber damit hätte er seine Bürgerpflicht dann wirklich mehr als zur Genüge erfüllt.
    Und doch: Der Junge – zumindest glaubte Jack, dass es einer war – musste ja irgendwie ins Gebäude gelangt sein. Das wiederum bedeutete, dass es irgendwo ein Schlupfloch geben musste, durch das der Kleine hineingeklettert war. Selbst wenn er es nicht fand, konnte er zumindest durch ein Fenster oder eine verrottete Tür nach innen gelangen und nachsehen, in welchem Zustand sich die Bausubstanz drinnen befand.
    Jack lief erneut um das Anwesen herum und versuchte es an der Terrassentür neben dem Westturm, doch sie war fest verschlossen und, wie er sehen konnte, sogar verriegelt.
    Er bahnte sich den Weg zum Eingang des Gewächshauses und versuchte es dort. Zuerst tat sich nichts, doch als er die Griffe fest nach unten drückte und daran zog, öffnete sich eine der Schwingtüren zögerlich.
    Unentschlossen blieb Jack stehen. Streng genommen hatte er das Grundstück schon ohne Erlaubnis betreten, indem er nur darauf herumlief, doch wenn er jetzt eintrat, würde er sich auch noch des Einbruchs schuldig machen. Obwohl alles ziemlich heruntergekommen wirkte, konnte doch immer noch jemand hier wohnen. Und falls der Besitzer zu Hause war, würde Jack sich ziemlich umständlich erklären müssen.
    Er klopfte ans Fenster. »Hallo? Jemand zu Hause?«, rief er. Das Gewächshaus war innen mit einer dicken Staubschicht bedeckt. Im schummrigen Halbdunkel herrschte völlige Stille. Ein gusseiserner Tisch lag auf die Seite gekippt. Daneben befanden sich die Scherben eines grünen Keramiktopfs, der hinuntergefallen war. Auf der gegenüberliegenden Seite des Anbaus stand eine Vielzahl von Tontöpfen, aus denen tote Pflanzen mit vergilbten Blättern ragten. Die feuchte Luft roch abgestanden und irgendwie sauer, so wie Essig.
    »Jemand zu Hause?«, wiederholte Jack. Aber es blieb still, bis auf das kontinuierliche Tropfen von Regenwasser, das durch die verrostete Außenverkleidung heruntersickerte.
    Benutz deine grauen Zellen, Reed, ermahnte Jack sich selbst. Hier lebt niemand mehr. Höchstens ein paar Hausbesetzer. Vielleicht Landstreicher oder weggelaufene Kinder. Niemand, der sich hier eher aufhalten dürfte als du. Niemand, der rechtmäßig hier ist.
    Jack schob die Tür etwas weiter auf und trat ein. Der Boden war mit Erde und Steinen bedeckt und seine Schuhe knirschten und knarzten darauf. Er zögerte kurz und lief dann durch das Gewächshaus und die zwei Stufen hinauf zu der Pforte, die den Anbau mit dem Wohnhaus verband. Zwar war sie auch eingerostet, doch es gelang ihm, sie zu öffnen.
    Wird schon schiefgehen, dachte er sich und öffnete sie gerade so weit, dass er sich hindurchzwängen konnte.
    Bei dem Zimmer, das er betrat, schien es sich um eine große Lounge oder einen Aufenthaltsraum zu handeln. Überall standen cremefarbig lackierte Rohrsessel herum. Insgesamt mussten es zwischen 50 und 60 sein. Dazu passend gab es Tische im gleichen Farbton. Auf einigen davon standen Tassen und Untertassen, die längst eingetrockneter Kaffee an der Innenseite mahagonifarben verfärbt hatte. Auf dem grünen Teppichboden lagen Magazine und Zeitungen verstreut. Jack bückte sich und hob eine Ausgabe der Zeitschrift Collier’s auf. Die Titelgeschichte – »Walter Camps All-American Team« war auf 1926 datiert. Dann griff Jack nach einer der Zeitungen. Die Schlagzeile verkündete: MORDPROZESS IM FALL HALL-MILLS ERÖFFNET. Sie stammte vom 21. Juni 1926.
    Für einen Moment stand Jack bewegungslos in der Mitte des Zimmers. Dann legte er das Magazin und die Zeitung sorgfältig auf einen der Tische. Mit einem Mal hatte er einen merkwürdigen Anfall von Klaustrophobie und wurde das Gefühl nicht los, dass die Lounge ihn einengte. Sein erster Impuls war, sofort wieder an die frische Luft zurückzukehren. Denn, großer Gott, im Juni 1926 musste dieses Zimmer voll mit Menschen gewesen sein, die aus unerfindlichen Gründen plötzlich alles stehen und liegen ließen und gegangen waren. Das Gebäude war danach 62 Jahre lang verschlossen geblieben und in all dieser Zeit schien niemand in diesem Raum irgendetwas angerührt zu haben.
    Jack zwang sich, einmal tief Luft zu holen. Hier drinnen war es sogar noch kälter als draußen. Der beißende Geruch von Essig stahl sich erneut in seine Nase.
    Er lauschte, aber bis auf den Regen, der auf das Dach des Gewächshauses trommelte, blieb alles ruhig. Nach einem Rundumblick durch die Lounge dachte Jack bei sich: Das hier
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