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IRRE SEELEN - Thriller (German Edition)

IRRE SEELEN - Thriller (German Edition)

Titel: IRRE SEELEN - Thriller (German Edition)
Autoren: Graham Masterton
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Sommer in den Ferien hier oben am Mirror Lake, am Devil’s Lake oder am benachbarten Lake Wisconsin gewesen und hatte die Gegend mit seinen Freunden bei Hunderten von Bergwanderungen und »Dschungelexpeditionen« durchstreift.
    Und doch hatte er das Gebäude trotz seiner beachtlichen Größe noch nie zuvor zu Gesicht bekommen, geschweige denn von seiner Existenz gewusst. Es war so imposant, geheimnisvoll und mit Atmosphäre aufgeladen, dass Jack fast bedauerte, es nicht bereits als Elfjähriger entdeckt zu haben. Er und Dougie McLeish hätten hier wunderbar spielen können! Prinz Eisenherz! Der Mann mit der eisernen Maske! Dracula! Sie hätten unglaublich viel Spaß haben können! Warum hatte er auf diese Entdeckung bis heute warten müssen, wo er als 43-jähriger verheirateter Mann in Milwaukee lebte und eine bescheidene Kette von Expresswerkstätten für defekte Schalldämpfer leitete?
    Das Bauwerk sah aus wie ein Schloss, ein Hotel oder ein feudales Bahnhofsgebäude. Es bestand aus dem gleichen gelben Backstein wie die alte Pabst-Brauerei im Westen von Milwaukee – der charakteristische Baustoff hatte der Stadt den Spitznamen »Cream City« eingebracht. Es war im Stil der österreichischen Gotik erbaut und wies an jedem Ende seiner 60 Meter breiten Fassade eine Ansammlung von fünf Spitztürmchen auf. Eine dekorative schmiedeeiserne Brüstung begrenzte auf der gesamten Länge die Dachrinne.
    Und dann waren da überall diese Gesichter. Aus Blei gegossene, graue Konterfeis säumten die Entwässerungsleitungen. Über den Fenstern leisteten ihnen ockergelbe Geschwister, in Stein gemeißelt, Gesellschaft. An den Rändern des Dachfirsts prangten schwarze Fratzen aus Eisen. Insgesamt wahrscheinlich mehr als 100 an der Zahl. Doch anders als gewöhnliche Wasserspeier wirkten sie weder hässlich noch grotesk, sondern allesamt eher würdevoll, andächtig, gelassen, fast schon heilig. Doch seltsamerweise hielten sie die Augen geschlossen, als ob sie schliefen, blind oder tot waren.
    Jack kämpfte sich durch die Bäume, ehe er den Zufahrtsweg aus weißem Kieselstein erreichte, der das Gebäude umgab. Der Weg war mit Efeu und Bluthirse überwachsen. Am Westturm war der Efeu so weit emporgerankt, dass er die Fenster im zweiten Stock erreichte und wie eine düstere, besitzergreifende Liebhaberin an den Steinen klebte.
    Ohne Zweifel stand der Bau schon seit Jahren, vielleicht schon seit Jahrzehnten leer. Die Regenrinnen waren stark verrostet und Wasser, das neben dem Haupteingang hinabtropfte, hatte überall auf dem Mauerwerk Rostflecken hinterlassen. Alle Fenster wirkten dunkel, staubig und blind; etliche der rautenförmigen, bleiernen Gitter vor den Scheiben waren kaputtgegangen. An fast jeden Schornstein sowie zwischen die Turmspitzen hatten Vögel ihre Nester gequetscht, diese aber offensichtlich schon vor geraumer Zeit verlassen.
    Über dem gesamten Anwesen, wie es im sanft hinabprasselnden Regen thronte, lag ein Hauch von leiser Verzweiflung, längst verblassten Erinnerungen und stilvollem Bedauern.
    Jack lief zum Haupteingang, erklomm die steinernen Stufen und rüttelte am schweren Türgriff aus Bronze. Das Portal war verschlossen – und wahrscheinlich auch verriegelt. Nicht dass man sich hier mitten im Wald große Sorgen um Vandalismus hätte machen müssen, schließlich war das Gebäude ideal vor neugierigen Blicken abgeschirmt.
    Direkt neben dem Eingang befand sich eine altmodische Seilzugklingel mit einem Gesicht aus Bronzeguss am Zugbalken, dem Gesicht eines Heiligen mit geschlossenen Augen. Jack zerrte einmal daran, doch außer einer Menge Rost, die zu Boden rieselte, passierte nichts. Er zog erneut kräftig und hörte diesmal ein schrilles Klirren irgendwo im Inneren. Es schien gar kein Ende nehmen zu wollen, als ob jemand wie ein Verrückter mit einer Glocke bimmelte.
    Verlegen trat er einen Schritt zurück. Grundgütiger! Was, wenn jetzt doch noch jemand hier wohnte?Es hätte ihn nicht gewundert, wenn das Gesicht an der Türklingel plötzlich die Augen geöffnet und ihn vorwurfsvoll angestarrt hätte.
    Doch dann verebbte das Geräusch und in dem gewaltigen Bauwerk kehrte wieder Stille ein. Das Gesicht an der Tür blieb gutmütig und blind. Jack schüttelte den Kopf und schimpfte mit sich selbst: »Du Feigling!« Er musste in sich hineingrinsen, weil er so hysterisch reagiert hatte.
    Er ließ den Haupteingang hinter sich zurück und lief weiter an der Vorderseite des Anwesens entlang, bis er den Ostturm
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