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Irgendwann werden wir uns alles erzählen

Irgendwann werden wir uns alles erzählen

Titel: Irgendwann werden wir uns alles erzählen
Autoren: Daniela Krien
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kann ich nichts mehr genießen; ich warte auf den Johannes mit einer zitternden Unruhe. Ich denke plötzlich, er käme nicht mehr, er fände mich nicht mehr wieder. Was soll ich dann tun? Ich flüstere vor mich hin: »Komm, komm, komm, Johannes, komm jetzt, bitte …« Am Nebentisch grinst ein Pärchen und sieht zu mir herüber. Ich suche im Fluss der Passanten das eine Gesicht. Hastig und ungeschickt trinke ich aus dem bauchigen Glas, Rotwein tropft auf mein helles Kleid, und ich schäme mich für alles.
    Endlich, endlich sehe ich Johannes – mit einem weißen Plastikbeutel in der Hand.
    Er strahlt – das kommt mir ganz unpassend vor –, setzt sich zu mir, bestellt ebenfalls ein Glas Wein, trinkt schnell und küsst mich immer wieder.
    »Wo warst du denn so lange?«, frage ich drängend und vorwurfsvoll.
    »Wirst du schon sehen …«, flüstert er lächelnd, »eine Überraschung, wir packen sie zu Hause aus.« Er tut sehr geheimnisvoll dabei.
    Als die Rechnung kommt, können wir es kaum glauben: 21,50 DM steht da. Das ist ein Vermögen, doch nichts im Vergleich dazu, was Johannes gerade ausgegeben hat.
    Dann fahren wir nach Hause, wir haben hier nichts mehr zu tun. Nach Hause – wie schön das klingt. Als wir ankommen, ist es schon tiefe Nacht, kein Licht brennt mehr, nur ein Käuzchen ist zu hören. Aus dem Keller holt Johannes eine staubige Flasche Wein, und ich trinke wie eine Verdurstende, ohne satt zu werden. »Johannes«, sage ich, »hol noch eine Flasche!«
    »Nein, der Vater wird es sehen, dann gibt es Ärger.«
    »Ich nehme alles auf mich«, antworte ich leichthin, und da geht er und kommt gleich darauf wieder. Die Spinnen über uns fühlen sich gestört, sie hangeln sich schwebend empor. Ich taumele zum Sofa, lasse mich nach hinten fallen; mein Kleid rutscht hoch, und Johannes packt seine Überraschung aus. Er winkt mich herüber, ein schöner Schwindel wirbelt mich durchs Zimmer; es ist eine Kamera, eine wirklich sehr, sehr gute Kamera, wie er mir immer wieder versichert, als ich ungläubig auf die Rechnung starre: 1980 DM, und sie ist nicht einmal neu.
    »Wir können jetzt überall hin, es gibt keine Grenze mehr«, sagt er, während er das Objektiv aufschraubt, »und ich werde alles fotografieren, aber vor allem dich.«

Kapitel 4
    HEUTE MACHE ICH mich auf den Weg zur Mutter. Es ist ein Fußmarsch von etwa vierzig Minuten. Der Weg führt die Landstraße entlang und später quer durch die Felder. Wir wohnen in einem der größeren Dörfer mit etwa fünfhundert Einwohnern. Es ist nicht halb so hübsch wie das Dorf der Brendels, zerklüftet und ohne Kern. Nur drei Höfe gibt es hier noch; dafür stehen am Ortsrand mehrere Neubaublocks mit sehr feinen Wohnungen darin, wie die Oma Traudel immer sagte. Mutter und ich fanden das nicht; die Wohnungen sind klein, man hat keinen eigenen Garten und hört die Nachbarn husten.
    Wir dagegen wohnen im alten Teil des Dorfes. Unser Haus ist schön gelegen, genau gegenüber vom Dorfteich. Eine schmale Gasse führt daran vorbei, an deren Rand zahlreiche Obstbäume stehen, auf denen wir Kinder früher ganze Nachmittage verbrachten. Es nicht gerade das älteste Haus des Dorfs, aber mit Abstand das altmodischste. Der Opa Lorenz hat jegliche Neuerungen abgelehnt; nicht einmal ein Wasserklo haben wir. Warum er das getan hat, weiß ich nicht, aber die Oma Traudel meint, er wollte sie damit strafen, weil sie doch immer mal von den Neubauten geschwärmt und ihn dabei vorwurfsvoll angesehen hat.
    In Sichtweite befinden sich der Bäcker und die Gastwirtschaft. Im neueren Teil des Dorfs gibt es einen großen Konsum, das Gemeindeamt mit einer kleinen Bibliothek, einen Kindergarten und die Grundschule mit dem Schulgarten. Dort haben wir unser eigenes Gemüse angebaut und in den Sommermonaten sogar die Schulküche damit beliefert.
    Von unserem Garten aus sieht man die Kirche und das Pfarrhaus. Der Pfarrer ist nicht nur für unser Dorf zuständig, sondern auch für die anderen Gemeinden ringsumher. Viel zu tun gibt es nicht für ihn; in die Kirche gehen fast nur noch die Alten. Mit einigen der sieben Pfarrerskinder war ich befreundet. Ich weiß noch, wie sehr mir das Beten vor dem Essen gefiel, wenn alle Kinder und die Eltern im Chor sprachen: »Aller Augen schauen auf dich, o Herr. Du gibst uns Speise zur rechten Zeit. Du öffnest deine Hand und erfüllst alles, was da lebt, mit Wohlgefallen.« Und wie traurig war ich über unsere einsamen Abendessen zu Hause, allein mit der Mutter,
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