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Intruder 5

Intruder 5

Titel: Intruder 5
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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dass einer von ihnen wirklich den Nerv hatte, einen Menschen zu erschießen, wenn es hart auf hart kam.
    »Lös mich doch bitte mal ab«, bat Frank. »Die ganze Aufregung ist mir anscheinend auf den Magen geschlagen.«
    Mike huschte geduckt an seine Seite, und Frank hielt ihm den 44er hin. Mike schüttelte fast erschrocken den Kopf. Frank schob die Waffe unter den Gürtel und verschwand mit schnellen Schritten im Bad.
    »Ja ja, die Blase«, spöttelte Strong. »Das Problem haben viele kleine Mädchen.«
    »Klebeband?«
    Stefan tauschte einen fragenden Blick mit Mike.
    »Klebeband!«
    Während Stefan die Rolle holte und Strong den Mund verklebte, worum er seit zehn Minuten so hartnäckig gebettelt hatte, konzentrierte sich Mike ganz auf die Straße draußen und den gegenüberliegenden Waldrand. Nirgends war auch nur die Andeutung einer Bewegung zu sehen, wenn man von dem beständigen Wirbeln der Schneeflocken absah. Der Wind war anscheinend wieder heftiger geworden. Der Wald auf der anderen Seite der Straße war kaum noch zu erkennen.
    Dann sah er doch eine Bewegung.
    Im ersten Moment glaub te er, es wäre nur der Sturm. Aber inmitten der tanzenden weißen Schwaden gerann die Dunkelheit plötzlich zu einem massigen Schatten, der näher kam, ohne sich wirklich zu bewegen. Es war ...
    Der Indianer, den er schon in der vergangenen Nacht gesehen hatte - oder zumindest sah er ihm sehr ähnlich. Jetzt, im hellen Tageslicht, konnte Mike ihn in aller Ruhe betrachten. Obwohl er fast vollkommen in eine Decke aus langhaarigem schwarzen Büffelfell gehüllt war, erkannte er, dass es sich um einen uralten Mann handelte. Eine einzelne weiße Feder steckte in seinem Haar, das zu einem weit bis auf den Rücken herunterfallenden Pferdeschwanz gebunden war. In der rechten Hand hielt er etwas, das Mike im ersten Moment für ein Gewehr hielt, bis er erkannte, dass es ein sonderbar kleiner Speer mit einer Spitze aus gewelltem Feuerstein war. Eine Anasazi-Waffe. Er konnte nicht sagen, woher er das wusste, aber er war sich dessen ganz sicher.
    Mike blinzelte verwirrt. Die Gestalt des Indianers schien zu zerfließen, löste sich aber nicht auf, sondern nahm im Gegenteil wieder festere Konturen an - und plötzlich erinnerte sich Mike daran, wo er ihn zum ersten Mal gesehen hatte. Es war in der Höhle gewesen, in der Strong ihnen die Leiche des toten Indianerjungen präsentiert hatte - jene Höhle im Monument Valley die er am Tag zuvor bereits in seinem seltsamen Traum gesehen hatte.
    Es war nicht der Wendigo, wie Mike zuerst vermutet hatte, er konnte es gar nicht sein, obwohl er ihm sehr ähnlich sah. Die Ausstrahlung dieses Indianers war nicht Furcht erregend, sondern begütigend und beschützend wie die eines alt gewordenen Vaters, der seinem erwachsenen Sohn in einer Krise mit einem Rat weiterzuhelfen versucht. Mike wusste einfach, dass es der alte Schamane war, der jetzt dort im Schneetreiben stand, der alte Mann, mit dem er im Traum am Feuer gehockt und der ihn gewarnt hatte: »Du hast den Wendigo herausgefordert. Das hättest du nicht tun sollen. Er wird dich töten.«

    *

    Frank kam zurück. Er grinste breit, als er sah, was Stefan mit Strong getan hatte, dann ließ er sich neben Mike auf die Knie sinken und zog die Magnum wieder aus dem Gürtel. »Alles in Ordnung?«
    »Da ... da draußen«, murmelte Mike.
    Die Worte entschlüpften ihm, bevor er es verhindern konnte.
    Er war vollkommen davon überzeugt, dass Frank rein gar nichts sehen würde, wenn er in den Sturm hinausblickte, und ihn deshalb für hysterisch halten musste.
    Aber dann sah Frank aus dem Fenster, und seine Augen weiteten sich erschrocken. »He!«
    Mike blickte ebenfalls wieder hinaus. Auf der anderen Seite der Straße, gerade so weit entfernt, dass man ihn erkennen konnte, ohne dass er inmitten des Schneegestöbers ein klares Ziel bot, stand ein schlanker, vielleicht dreißigjähriger Indianer, dessen langes schwarzes Haar im Wind wehte. Die linke Hand hatte er vors Gesicht gehoben, um seine Augen vor dem Wind zu schützen, mit der anderen schwenkte er einen weißen Stofflappen.
    Der Anasazi-Schamane war verschwunden. Er war niemals wirklich da gewesen, begriff Mike. Seine überreizten Nerven begannen ihm immer bösere Streiche zu spielen.
    »Eine weiße Fahne?«, wunderte sich Stefan, der ebenfalls zu ihnen getreten war. »Die wollen doch nicht etwa aufgeben?«
    Strong begann unter seinem Knebel dumpfe Laute auszustoßen und mit den aneinander gebundenen Füßen
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