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Intruder 4

Intruder 4

Titel: Intruder 4
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Sehnen mit einem Male nicht mehr die Kraft, die dünne Schicht aus Fleisch und Haut in Form zu halten. Die Mundwinkel zogen sich zu einem traurigen Clownsgesicht hinab, die Wangen erschlafften, und die Augen bekamen dunkle, faltige Säcke.
    Der Junge alterte vor Mikes Augen, und zwar rasend schnell.
    Für einen Moment schien er um die dreißig, ein schlanker Hüne mit schulterlangem, pechschwarzem Haar und schwarzen Augen, die Mike mit einer Mischung aus Hass und verächtli-chem Spott musterten. Aber die Veränderung ging weiter, rasend schnell und auf eine so grässliche Art, dass sie sich mit Worten kaum beschreiben ließ. Nach kaum fünfzig schweren, pochenden Herzschlägen in Mikes Brust (jeder dritte oder vierte wurde vo n einem dünnen, aber quälenden Stich beglei-tet) stand er einem uralten Mann mit zerfurchtem Gesicht gegenüber, der ihn voller grenzenloser Bosheit anstarrte.
    Ich habe dich gewarnt, weißer Mann. Du hättest gehen sollen, solange du es noch konntest. Jetzt spielen wir.
    Mikes Herzschlag hatte ausgesetzt. Selbst der Atem stockte ihm. Um ihn herum bewegte sich nichts mehr. Es war vollkommen still. Auf eine geheimnisvolle Weise war die Zeit selbst stehen geblieben. Die Wand hinter dem uralten Indianer verblasste und gab den Blick auf eine endlose, sandbraune und rote Felswüste frei, aus der sich bizarr geformte Kolosse aus rotem Stein erhoben, bevor auch noch der gesamte Rest des Restaurants verschwand.
    Mike war nun allein mit dem Alten. Allein auf einer gewaltigen, spiegelglatten Mesa, über die der Wind heulte und auf die eine gleißende Sonne herabbrannte, ohne Wärme zu spenden.

    11
    Alles, was blieb, war die Theke und eine der verchromten Schalen, in der die arthritische Hand des Alten mit einem langen, verchromten Lö ffel herumfuhr.
    Bist du hungrig, weißer Mann?
    Seine Hand rührte unbeirrt mit kleinen, kreisenden Bewegungen in der Schale. Chrom schrammte mit einem derart unange-nehmen Kreischen über Chrom, dass Mike ein kalter Schauer über den Rücken rann. Er war noch immer unfähig, sich zu rühren, zu atmen oder gar einen klaren Gedanken zu fassen.
    Ein winziger Teil seines Bewusstseins, der aus irgendeinem Grund noch mit der gewohnten Logik und Präzision funktionierte, sagte ihm zwar, dass dies hier unmöglich die Wirklichkeit sein konnte. Es war nur eine Vision, eine Fortsetzung des schrecklichen Episoden-Albtraumes, der im Desert Inn seinen Anfang genommen hatte und nun in immer kürzeren Abständen zu kommen schien. Aber was nutzte Logik, wenn man sich in einem Zustand befand, in dem Entsetzen das Einzige war, was die Mauer aus Lähmung und erstarrter Zeit durchdringen konnte? Ein Entsetzen, das zu etwas anderem, noch Schlimme-ren wurde, als Mikes Blick in die verchromte Schale fiel.
    Sie enthielt nach wie vor wässrig gebratenes Rührei.
    Doch zwischen den weißen und gelben Bröckchen und noch halb flüssigem Eiweiß schimmerte es nass und rot.
    Die Chromkelle mengte Knochensplitter und nässende Haut-fetzen unter das Ei, verrührte zerrissene Muskelfasern und zerschme tterte Zähne mit geronnenem Cholesterin, ließ für einen Moment ein Auge auftauchen, das Mike vorwurfsvoll anstarrte, und rührte es wieder unter.
    Mike wollte schreien - vergebens! Da die Zeit noch immer stehen geblieben war und er noch immer nicht atmen konnte, hatte er auch keine Luft, um einen Schrei des Entsetzens, der Panik auszustoßen. Die Kontrolle über seinen eigenen Körper war ihm vollkommen entzogen. Er konnte nicht einmal die Augen schließen, um dem grässlichen Anblick zu entkommen, 12
    und selbst wenn - hätte es ihm etwas genutzt? Die Bilder, die ihm der Wendigo schickte, hatten eine andere Qualität angenommen und ließen sich nicht von etwas so Banalem wie geschlossenen Augenlidern aufhalten. Hilf- und wehrlos sah er zu, wie die Kelle weiter rührte und scharrte, scharrte und rührte. Und ganz allmählich erschuf sie aus den Teilen eines Körpers, den Mike mit seinem Motorrad in Fetzen gerissen hatte, und halb garem Rührei ein höllisches Omelett, an dem wohl auch Satan selbst erstickt wäre und das nach und nach die Gesichtszüge des Jungen annahm: das grässliche, weiß, gelb und rot gemusterte Gesicht eines Indianerjungen, dessen ungewöhnliches Aussehen nicht nur Teil des Erbes war, das ihm seine Inhuit-Vorfahren mitgegeben hatten. Es bewegte sich, begann zu brodeln, auseinander und wieder ineinander zu fließen, als versuchten sich halb lebendige und halb tote Materie zu etwas
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