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Inspektor Jury schläft außer Haus

Titel: Inspektor Jury schläft außer Haus
Autoren: Martha Grimes
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Butler Ruthven (ein Name, den sie grundsätzlich falsch aussprach), denn nicht an die Tür gegangen? An dieser Stelle pflegte sie zu seufzen und ihre «Kein Platz in dieser Herberge»-Miene aufzusetzen, als wäre ihr Neffe ein erbarmungsloser Wirt, der sie in ihren Stall im Dorf verbannte.

    Melrose fuhr auf seinem Fahrrad die Straße entlang, atmete tief und genüßlich die frische Dezemberluft ein und dachte über die beiden Morde nach, die sich innerhalb von 24 Stunden ereignet hatten. Wenigstens beschäftigten die Dorfbewohner sich nun nicht mehr ausschließlich mit seinem Familienstand, und sie taten nun auch sehr, sehr ungern das, was Melrose gerade tat – eine einsame Landstraße entlangzufahren. Dabei war er nicht einmal besonders tapfer, er besaß nur einen besonders gesunden Menschenverstand. Er hatte bereits ein bestimmtes Muster erkannt, in das er, als Opfer, einfach nicht hineinpaßte. Beide Morde waren in Gasthöfen begangen worden und äußerst grotesk, ja schon beinahe absurd. Was immer der Mörder beabsichtigte, er folgte einem bestimmten Plan, und er schien zu den Leuten zu gehören, denen ihre teuflischen Verbrechen auch noch Vergnügen bereiten. Zumindest schien er bei seinen Inszenierungen keine Mühe zu scheuen.
    Die letzten Meter bis zu dem schmiedeeisernen Tor von Ardry End schob Plant sein Fahrrad. Das Tor wurde von zwei vergoldeten Löwen auf hohen Steinsäulen bewacht. Seine Tante stellte sich häufig unüberhörbar die Frage, warum er nicht ein paar große, edle Hunde zur Begrüßung seiner Gäste losschickte: Der Hund von Baskerville hatte sie wohl in ihrer Jugend gewaltig beeindruckt. Melrose stieß das Tor auf, schloß es hinter sich wieder und schob das Rad die Einfahrt hoch, während er mit den geübten Augen seiner Tante um sich blickte. Die Weißdornhecken zu seiner Linken und seiner Rechten waren hoch und ordentlich geschnitten. Melrose hätte seinen Gärtner beinahe mit der Hacke daran hindern müssen, mit seiner Schere aus den Hecken eine Sehenswürdigkeit zu machen, weil seine Nachbarin Lorraine Bicester-Strachan ganz wild danach war.
    Wenn Ardry End auch nicht Hampton Court war, so war das Grundstück doch groß genug, um sich mit Hatfield House messen zu können, zumindest in den Augen des Gärtners, Mr. Peebles. Seine Versuche, Ardry End in eine Sehenswürdigkeit zu verwandeln, fanden Lady Ardrys ungeteilten Beifall. Die beiden verstanden sich wie ein altes Gespann von Zugpferden, die in ihrer Phantasie ganze Fuhren exotischer Zierpflanzen ankarrten, um den weiten, grünen Flächen, die Melrose einfach dem Wind und dem Wetter überlassen wollte, Form und Gestalt zu verleihen. Seine Tante plädierte für Panorama, Perspektive und Blickfang, für ein Miniatur-Pantheon mit blendendweißen korinthischen Säulen, das auf der andern Seite des Sees überraschend auftauchen würde. Hätte Melrose seiner Tante Agatha und Mr. Peebles freie Hand gelassen, wären seine Wiesen und Wälder bald von kunstvoll angelegten Gärten und komplizierten Mustern aus gestutztem Zwergbuchsbaum, Liguster und Eibe verdrängt worden. Unterstützt von Melroses Tante, hatte Peebles jedoch einen Seelilienteich durchgesetzt, der von einer gestutzten Eibenhecke umgeben war und einen diskreten kleinen Springbrunnen aufwies. Einmal versuchte der Gärtner auch, heimlich künstliche Fische in den Teich zu schmuggeln, aber Melrose bestand darauf, daß sie wieder entfernt wurden. Als Entschädigung für die künstlichen Fische erklärte Melrose sich bereit, zwei echte Schwäne sowie eine Entenfamilie auf dem Teich zu dulden. Lady Ardry und Mr. Peebles hätten am liebsten wie vor einem öffentlichen Gebäude in Lettern aus blühenden Pflanzen den Namen Mountardry-Plant auf die Rasenfläche vor dem Haus geschrieben.

    Die Tür von Ardry End wurde Melrose von Ruthven, dem Butler, geöffnet. Ruthven als einen Butler der alten Schule zu bezeichnen wäre eine glatte Untertreibung gewesen. Plant hegte den Verdacht, daß jeder zweite Hausdiener Englands bei Ruthven in die Lehre gegangen war. Er erinnerte sich an Ruthven noch aus der Zeit, als er ein kleiner Knirps gewesen war; Ruthven konnte alles zwischen fünfzig und hundert sein – für Melrose sah er immer gleich aus.
    Zusammen mit den Porträts, den Aktien und den Morris-Wandbehängen war auch Ruthven in seinen Besitz übergegangen, und Seine Lordschaft hatte während der ganzen Zeit, in der sie zusammen gewesen waren, seinen Butler nur ein einziges Mal aus der
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