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Inspektor Jury schläft außer Haus

Titel: Inspektor Jury schläft außer Haus
Autoren: Martha Grimes
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müssen. Und er wollte auch nichts von diesem Small hören und von dem andern ebensowenig. Doch wahrscheinlich würden ihn diese Namen bis ans Ende seiner Tage verfolgen.
    Von dem Scharfsinn der Polizei seines Landes hielt Melrose nämlich auch nicht besonders viel.

IV Montag, 21. Dezember

    Die Augen mit der Hand schützend wie ein Mann, der in das grelle Licht der Sonne blickt, blinzelte Kriminalinspektor Richard Jury mißtrauisch zu Kriminaldirektor Racer hinüber. Racer saß auf der andern Seite des leergefegten Schreibtischs – er schaffte es immer, die Arbeit von seinem auf den eines anderen wandern zu lassen – und rauchte ruhig und bedächtig eine seiner teuren Zigarren. Die andere Hand des Kriminaldirektors spielte mit seiner goldenen Uhrkette, die von einer Westentasche zur andern lief. Sein Hemd mit den Stulpenmanschetten war kobaltblau und sein Anzug aus Donegal-Tweed offensichtlich maßgeschneidert. Für Inspektor Jury hatte sein Vorgesetzter etwas von einem Dandy, etwas von einem Amateur und etwas – sehr wenig – von einem Kriminalbeamten an sich.
    Nicht, daß Inspektor Jury sich der Illusion hingab, seine Kollegen vom Scotland Yard bestünden aus nichts als purer Redlichkeit und Menschenfreundlichkeit – der Londoner Bobby mit seinem Helm und Regencape, der den Touristen liebenswürdig den Weg weist. Oder, daß Höhergestellte wie er zum Beispiel in hübschen glänzenden Anzügen unter der Lünette eines Hauseingangs auftauchen und zu der Frau im Morgenrock sagen würden: «Nur eine Routineangelegenheit, Gnädigste.» Nein, sie waren keineswegs alle diese nüchternen, mit einem messerscharfen Verstand ausgestatteten Hüter des Gesetzes. Aber Racer trug wirklich rein gar nichts zu diesem liebenswerten alten Klischee bei. Er sah einfach schrecklich großbürgerlich aus, wie er so dasaß und wahrscheinlich über sein Dinner oder seine neueste Eroberung nachdachte, die ihm dabei Gesellschaft leisten würde, während er es den Jurys dieser Welt überließ, mit dem Schlamassel fertig zu werden.
    Jury schaute unter dem Schirm seiner Hand hervor. «Ein Mann mit dem Kopf in einem Bierfaß?» Er hoffte noch immer, das Ganze würde sich als schlechter Witz entpuppen.
    Racer lächelte säuerlich. «Noch nie was von dem Herzog von Clarence gehört, wie?» Dem Kriminaldirektor machte es Spaß, sich mit Jury zu messen, und wie ein richtiger Spieler oder ein Masochist versuchte er es immer wieder, obwohl er nie gewann.
    «Er wurde, wie es heißt, in einem Faß Malmsey ertränkt», sagte Jury und ließ das bißchen Bildung, das Racer besaß, noch weiter schrumpfen.
    Verärgert schnippte Racer mit den Fingern, als wolle er einen Hund rufen. «Die Fakten, zuerst die Fakten.»
    Jury seufzte. Die beiden Mordfälle in Northamptonshire waren ihm in ihren Grundzügen geschildert worden, und er sollte nun wie ein Stenograf das Ganze wiederholen. Racer paßte immer genau auf, ob ihm irgendwelche Fehler unterliefen.
    «Das erste Opfer, William Small, wurde in dem Weinkeller der Pandorabüchse gefunden. Er war mit einem Stück Draht erdrosselt worden, sein Kopf steckte in einem Bierfaß. Der Besitzer braut gelegentlich sein eigenes Bier –»
    Racer unterbrach ihn: «Zu viele von diesen alten Gasthäusern lassen sich beliefern. Mir sind die andern bedeutend lieber.»
    Er zog einen kleinen goldenen Zahnstocher hervor, und während er in seinen Backenzähnen herumstocherte, bedeutete er Jury fortzufahren.
    «Das zweite Opfer, Rufus Ainsley, wurde in der Hammerschmiede auf einem Stützbalken über der Uhr gefunden; der Balken, auf dem sich die geschnitzte Figur eines Schmieds befand …» In der Hoffnung, doch noch von Racer zu hören, daß es sich um einen Scherz handelte, versuchte Jury seinen Blick aufzufangen. Aber der Polizeichef saß einfach nur stumm da; den Zahnstocher hatte er weggelegt, und seine ledernen Lippen sahen aus, als wären sie über Nacht, zusammen mit seinen Schuhen, von irgendwelchen Kobolden zugenäht worden. Am frustrierendsten fand Jury, daß Racer anscheinend nichts an dieser Geschichte befremdete. Nachdem der Herzog von Clarence schon so geendet hatte, wunderte er sich wohl nicht mehr über Köpfe, die in Bierfässern steckten.
    Jury fuhr fort: «Eine Kellnerin, die in dem Gasthof arbeitet – Daphne Murch –, entdeckte als erste die Leiche von William Small, und sie rief den Wirt, Simon Matchett. In der Bar saßen mehrere Leute; sie behaupteten aber alle, den Toten nicht gekannt zu haben. Small
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