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Inspektor Jury schläft außer Haus

Titel: Inspektor Jury schläft außer Haus
Autoren: Martha Grimes
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zu.
    Es war beinahe Mitternacht, als Jury sich von dem Restaurantbesitzer und der unaufhörlich plappernden Fiona verabschiedete. Und als er aus seiner Untergrund-Station auftauchte, war er einfach hundemüde und nicht sehr begeistert von der Aussicht, einen Frühzug nach Northamptonshire nehmen zu müssen. Er tröstete sich damit, daß es vielleicht ganz angenehm sein würde, für ein paar Tage – oder vielleicht sogar für ein paar Wochen – aus London herauszukommen. Außer dem armseligen Häuschen seiner Kusine in den Potteries, wo er von den beiden Gören malträtiert wurde, wußte Jury keinen Ort, an dem er Weihnachten verbringen konnte.
    Jury zog eine übriggebliebene Times unter dem Backstein neben dem Stationsausgang hervor, warf ein paar Münzen auf den dünnen Stoß mit den restlichen Exemplaren und machte sich auf den Heimweg.
    Es hatte angefangen zu schneien – ein feiner, pulverartiger Schnee, nicht diese dicken, nassen Flocken, die in den Wimpern hängenblieben und auf der Zunge hafteten. Jury mochte Schnee, aber nicht den Londoner Schnee, der mit seinem grauen, matschigen Schmelzwasser nur den Verkehr behinderte. Es schneite immer stärker, Schnee so körnig wie Zucker, der richtig zu prickeln anfing, als er die Islington High Street in Richtung Upper Street entlangging. Er bog in die Camden Passage ein, die er um diese Zeit besonders mochte – die kleinen Läden waren so gespenstisch still, und außer dem kratzenden Geräusch der Papierfetzen, die der Wind über den Boden fegte, unterbrach nichts die nächtliche Stille. Camden Head war geschlossen, und die kleinen Stände der Trödler und Antiquitätenhändler waren abgebaut. Wenn sie im Freien ihren Geschäften nachgingen, war hier allerhand los, und Jury mischte sich gelegentlich auch unter die Menge und schaute den Taschendieben bei der Arbeit zu. Sein Favorit, Jimmy Pink, bevorzugte die Camden Passage – Jimmy konnte einem die Tasche samt Inhalt entwenden, ohne daß man auch nur das Geringste bemerkte. Jury hatte ihn hier schon so oft geschnappt, daß er ihm schließlich vorschlug, er solle doch seinen eigenen Stand aufmachen.
    Die Passage führte auf Charlton Place, und von dort ging es weiter zur Colebrook Row, einer hübschen, halbmondförmigen Häuserzeile, in der er auch gerne gewohnt hätte. Danach waren es nur noch ein paar Straßen bis zu seinem Wohnblock. Die meisten Häuser in seiner Straße waren in Mietshäuser umgewandelt worden. Die Straße selbst war etwas schäbiger, aber keineswegs unerfreulich, da auf der einen Seite ein Park lag, zu dem die Mieter einen Schlüssel besaßen.
    Jurys Wohnung war im sechsten Stock. Es gab in dem Haus noch fünf weitere Wohnungen, aber wegen seiner ungewöhnlichen Arbeitszeiten lief er seinen Nachbarn nur selten über den Weg. Allerdings kannte er die Frau, die im Souterrain wohnte, Mrs. Wassermann. Er sah, daß hinter dem schweren Gitter und den vorgezogenen Vorhängen noch Licht brannte. Die Stufen wurden sommers wie winters von zwei Geranientöpfen flankiert. Mrs. Wassermann war wie immer um diese Zeit noch wach.
    Er schloß seine Tür auf und knipste die Deckenbeleuchtung an. Der Raum wurde in Licht getaucht, und er war wieder einmal entsetzt über die Unordnung, die dort herrschte – als hätten Einbrecher seine Wohnung durchsucht und dann schnell wieder das Weite gesucht. Vor allem lag das an den Büchern. Sie quollen aus den Regalen und stapelten sich auf den Tischen. In dem Erker – mit Blick auf den Park – stand sein Schreibtisch. Er legte den Schnellhefter auf die Platte und zog den Mantel aus. Dann setzte er sich und ging noch einmal die Fotos durch. Kaum zu fassen.
    Das erste war im Weinkeller der Pandorabüchse aufgenommen und war ziemlich dunkel und grobkörnig; trotzdem sah man mit erschreckender Deutlichkeit die beinahe torsolose Leiche. Das Opfer war in das hüfthohe Faß, in dem der Wirt sein eigenes Bier braute, gesteckt worden, so daß Kopf und Schultern in dem Faß waren und der übrige Körper an der Seite herunterbaumelte.
    Jury fragte sich, warum. Angenommen, William Small war mit dem Stück Draht erdrosselt worden, warum hatte sich der Mörder dann noch die Mühe gemacht, diesen ausgefallenen Schnörkel hinzuzufügen?
    Das Foto von der Hammerschmiede war noch grotesker. Der nach der Leichenstarre in sich zusammengesackte Körper von Rufus Ainsley wurde von der dünnen Metallstange gehalten, mit der die geschnitzte Figur an dem Balken befestigt gewesen war; dieses
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