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Inspektor Jury schläft außer Haus

Titel: Inspektor Jury schläft außer Haus
Autoren: Martha Grimes
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ersten verhören. Auf Wiedersehen, Agatha.»
    Als der Pfarrer Plant durch den gotischen Bogen der Bibliothek und zur Tür begleitete, verfolgte sie Lady Ardrys Stimme – um sämtliche Ecken und durch den Korridor.
    «Deine Frivolität ist bei dieser grauenvollen Sache wirklich fehl am Platz, Melrose.» Dann lauter: «Es wundert mich aber keineswegs.» Und noch lauter: «Vergiß nicht, du hast uns heute abend zu Matchett eingeladen. Du kannst mich um neun abholen.»
    Melrose spürte schon fast selbst das Unheil im Nacken, als der Pfarrer die Geschichte eines gräßlichen Verbrechens erzählte, dem vor ein paar Jahren eine Bardame in Cheapside zum Opfer gefallen war.

III

    Ardry End wurde von den Bewohnern des Dorfes das Herrenhaus genannt. Es war ein großer, aus Sandstein gebauter Landsitz mit vielen Türmchen und Erkern – seine Farbe schwankte je nach dem Stand der Sonne zwischen Rosa und Rotbraun. Die Auffahrt war so elegant wie das Haus selbst; über eine Brücke aus demselben Stein führte eine kleine Straße durch grüne, um diese Jahreszeit jedoch mit Schnee bedeckte Felder. Die Lage von Ardry End, am Fluß und zwischen Hügeln mit Schafherden und Lavendelfeldern, brachte Lady Agatha jedesmal den Tränen nahe, wenn sie daran dachte, daß ihr das Anwesen nicht gehörte. Sie hatte es nie verwunden, daß ihr Mann nicht der achte Earl von Caverness und der zwölfte Viscount Ardry gewesen war. Der hochwohlgeborene Robert Ardry war immer nur der nichtsnutzige jüngere Bruder von Melrose Plants Vater gewesen. Als ihr Neffe den Titel eines Lord Ardry wie ein Taschentuch fallenließ, hob ihn Agatha wieder auf, staubte ihn ab und verwandelte sich über Nacht in «Lady» Ardry. Melroses Onkel starb mit 59 Jahren in einem Spielsalon, nachdem er auch noch den Rest des Geldes verspielt hatte. Lady Ardry war also mehr oder weniger auf die Großzügigkeit ihres Schwagers angewiesen, was ihr Verhältnis zu Melrose nicht gerade verbesserte. Sein Vater war ein sehr eifriges Mitglied des Oberhauses gewesen und außerdem stellvertretender Direktor eines Konsortiums von Börsenmaklern. Reicher, als er es zu Lebzeiten zugegeben hatte, hatte er dafür gesorgt, daß der Witwe seines Bruders eine angemessene Rente ausbezahlt wurde.
    Da keine Aussicht bestand, daß Ardry End mit seinen Marmorhallen und Parkettböden jemals in ihre Hände fallen würde, erging sich Agatha in endlosen Hinweisen und Andeutungen auf das «fehlende weibliche Element im Haus». Melrose tat so, als würde er ihre Winke mit dem Zaunpfahl als Aufforderung betrachten, sich nach einer Frau umzuschauen, obwohl er natürlich wußte, daß sie nichts mehr befürchtete als das, da sie, wie er annahm, inbrünstig den Tag herbeisehnte, an dem ihn irgendeine seltsame Krankheit in der Blüte seiner Jahre hinwegraffen würde und sie in den Genuß eines Erbes käme; anscheinend rechnete sie fest damit, daß er ihr in Ermangelung anderer Verwandter seinen ganzen Besitz vermachen würde. Und sie registrierte auch die kleinste Veränderung auf Melrose Plants Gütern – so kam es ihm zumindest vor.
    Melrose Plant betrachtete seine Tante als den Albatros, den sein Onkel erlegt und seinem Neffen aufgebürdet hatte. Lord Robert hatte sie auf einer Tour durch die Vereinigten Staaten in Milwaukee, Wisconsin, abgeschossen. Agatha war Amerikanerin, aber sie verbarg das so gut sie konnte unter Tweedkostümen, Wanderstöcken, festem Schuhwerk, endlosen Platten mit Gurken-Sandwiches und einem guten Ohr für englische Redewendungen, auch wenn ihr die Aussprache von Eigennamen Schwierigkeiten machte.
    Seine Tante nutzte jede Gelegenheit, um auf Ardry End aufzutauchen und begehrliche Blicke auf die Porzellanfiguren, die Porträts, die chinesischen Teppiche und William-Morris-Wandbehänge, den Waterford, den Teich und die Schwäne zu werfen – alles Dinge, die zu der Ausstattung eines herrschaftlichen Hauses gehörten. Lady Ardry kam zu jeder Tageszeit, bei jedem Wetter und immer uneingeladen. Es war äußerst lästig, um Mitternacht, wenn der Regen gegen die dunklen Scheiben peitschte, ins Arbeitszimmer zu kommen und vor den Flügeltüren ihre in einen schwarzen Umhang gehüllte Gestalt stehen zu sehen, deren Gesicht in den Blitzen weiß aufleuchtete. Ebenso lästig war es, diese massige, triefende Gestalt hereinzubitten, damit sie wie ein großer Hund Wasserlachen auf dem Perserteppich hinterließ und die Schuld an allem auch noch Melrose zuschob – warum war dieser Dummkopf von
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