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Inspektor Jury küsst die Muse

Inspektor Jury küsst die Muse

Titel: Inspektor Jury küsst die Muse
Autoren: Martha Grimes
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gedacht, daß Vivian auf solche Typen steht.» Er warf Melrose einen verstohlenen Blick zu. «Finden Sie, daß sie sich sehr verändert hat?»
    «Vivian? Vivian?!» Plant studierte eingehend sein goldenes Zigarettenetui.
    «Manchmal können Sie aber auch sehr ermüdend sein. Ja, Vivian-Vivian. Haben Sie nicht mit ihr über die alten Zeiten gesprochen?»
    Melrose nahm sich eine Zigarette aus dem Etui und hielt es Jury hin. «Großer Gott, nein. Wir haben kaum zwei Worte miteinander gewechselt.»
    Jury nahm eine Zigarette und sah ihn nur kopfschüttelnd an.
    «Noch ist sie nicht verheiratet. Und wie ich Vivian kenne, wird auch nichts daraus werden. Bei wichtigen Dingen konnte sie sich noch nie entscheiden.» Melrose beließ es bei dieser Feststellung und sah auf die Uhr. «Ich muß gehen, sonst versäume ich wieder den zweiten Teil. Falls Sie es sich anders überlegen, ich bin nach der Vorstellung in der ‹Ente› …» Melrose schwieg einen Moment und sagte dann: «Ich nehme an, Sie werden die ganze Sache bald vergessen haben. Aber an einem Punkt der Vernehmung von Schoenberg waren Sie nicht gerade auf Draht. Sie konnten am Ende gar nicht schnell genug aus dem Zimmer kommen.»
    «Ja. Vielleicht, weil mir meine eigenen Reaktionen nicht sehr angenehm waren: Ich meine, ich stand da und wußte, was Schoenberg getan hatte, und doch …» Jury sah hinaus auf das dunkel werdende Wasser. «Er liebte sie so sehr.»

38
    Jury ging die Ryland Street entlang und klopfte bei Nummer zehn an die Tür. Eine kleine Frau öffnete und musterte ihn freundlich.
    «Ich bin ein Freund von Lady Kennington. Ist sie zu Hause?»
    Die kleine Frau sah ihn erstaunt an. Einen Augenblick lang dachte Jury, er hätte sich in der Hausnummer geirrt. Doch dann begriff sie: «Oh, Sie meinen Jenny?» Als Jury nickte, sagte sie: «Das tut mir aber leid. Sie wohnt nicht mehr hier –»
    In ihren Worten lag eine solche Endgültigkeit, daß Jury gar nicht weiterzufragen brauchte. Doch sein Gesicht mußte so große Enttäuschung gezeigt haben, daß sie sich als Überbringerin der schlimmen Nachricht schuldig fühlte. «Es tut mir wirklich leid. Sie haben sie verpaßt. Sie ist gestern ausgezogen.»
    Gestern. Es mußte natürlich gestern gewesen sein.
    Als Jury weiter schwieg, schien die Frau zu denken, daß sie deutlicher werden müßte. «Ich glaube, sie erhielt einen Anruf von einer Verwandten. Sie ist früher abgereist, als sie geplant hatte.» Die Frau wollte offensichtlich Lady Kenningtons Handeln irgendwie verteidigen, das diesem Fremden auf der Türschwelle etwas kapriziös erscheinen mochte. «Und ich bin eben erst eingezogen.» Sie lachte gekünstelt auf. «Es herrscht noch ein ziemliches Durcheinander.»
    «Tut mir leid, daß ich Sie gestört habe –»
    Sie machte eine wegwerfende Handbewegung. «O nein, keine Ursache», sagte sie eilig. Sie trat versuchsweise einen Schritt zurück, um Jury hereinzubitten, als hätte sie das Gefühl, das Ganze noch schlimmer zu machen, wenn sie genauso wenig gastlich wie informativ war.
    Er lehnte dankend ab. «Sie hat nicht zufällig eine Nachricht hinterlassen?»
    Untröstlich, fast beschämt, schüttelte sie den Kopf. «Nein, bei mir nicht. Sie könnten aber beim Makler nachfragen.»
    Er dankte ihr noch einmal, und erst nachdem sich die Tür hinter ihm geschlossen hatte, fiel ihm ein, daß er sie nicht nach dem Namen des Maklers gefragt hatte. Er hob die Hand, um noch einmal anzuklopfen, überlegte es sich aber dann anders. Morgen …
    Auf dem Rückweg überlegte er, ob er morgen wirklich zurückkommen würde oder ob das Schicksal in der Angelegenheit längst anders entschieden hatte.
    Zwischen der «Torkelnden Ente» und dem Theater überquerte Jury die Straße und ging ohne bestimmtes Ziel auf den Fluß zu. Unter den Eichen, die mit ihren Lichtgirlanden wie Weihnachtsbäume aussahen, näherten sich die letzten Theaterbesucher. Mit ihren Regenschirmen, die sich schwarz von den Lichtspiegelungen abhoben, liefen die zur Vorstellung zu spät Kommenden durch den Regen.
    Die Hände tief in den Manteltaschen vergraben und ohne auf den Regen zu achten, setzte er sich auf eine Bank. Es schien eine Ewigkeit herzusein, daß er mit Penny auf derselben Bank gesessen hatte. Als es völlig dunkel geworden war, stand er auf und ging zum Theater zurück. Der Parkplatzwächter lehnte gelangweilt an seinem Häuschen, während die Türhüter in ihren schwarzen Uniformen hinter den Glastüren des Theaters genauso gelangweilt
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