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Inspektor Jury küsst die Muse

Inspektor Jury küsst die Muse

Titel: Inspektor Jury küsst die Muse
Autoren: Martha Grimes
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erklären.»
    «Verzeihen Sie. Ich denke nicht mehr klar.»
    «Klar genug. Erzählen Sie weiter.»
    «Glauben Sie mir, ich würde alles geben, um die Morde an Amelia, Honey Belle und den anderen ungeschehen zu machen. Sie halten mich vielleicht für ziemlich kaltblütig, aber ich versichere Ihnen, ich würde wirklich alles geben, und ich besitze einiges. Aber wenn ich ganz ehrlich bin –» er verstummte und sah Jury beinahe flehentlich an – «es mag brutal klingen …»
    «Die Wahrheit ist oft brutal.»
    «Am meisten tut es mir um Jimmy leid. Und um Penny. Noch ist ihr nichts zugestoßen –»
    Seine Stimme hatte einen eisigen Klang angenommen.
    «Wir werden Jimmy finden», sagte Jury mit einer Überzeugung, die nicht von Herzen kam. Aber der Mann hatte eine Menge durchgemacht. «Was Penny betrifft, so habe ich ihr befohlen, das Hotel nicht ohne Begleitung zu verlassen.»
    Farraday rang sich ein Lachen ab. «Penny hat sich noch nie von irgend jemandem etwas befehlen lassen.»
    «Doch. Von mir», sagte Jury lächelnd.
    Sehr leise sagte James Farraday: «Ihr Burschen … ich glaube nicht, daß ihr mehr Ahnung habt, was hier vorgeht, als am Anfang.» Es hörte sich weniger wie ein Vorwurf als wie ein düsteres Gefühl an.
    Jury sagte nichts dazu. Statt dessen stellte er eine weitere Frage: «Würden Sie sagen, daß Nell schön war?»
    Farraday schien genau darüber nachzudenken. «Für mich schon. Ich hätte gedacht, jeder würde sie schön finden, ehrlich gesagt.»
    Jury erhob sich. «Im übrigen denke ich, daß wir der Lösung ein wenig nähergekommen sind. Zumindest habe ich jetzt das Motiv gefunden. Nell – das ist doch ein Kosename. Hieß sie nicht eigentlich Helen?»
    «Helen. Ja richtig.» Aber Farradays Blick spiegelte nur noch mehr Verwirrung. «Helen.»

33
    Er war (vermutlich im Kreis) durch Wälder gelaufen und eine lange Straße hinunter (wo er zu dieser frühen Stunde nur wenige Autos sah). Er war fest entschlossen, auf die andere Seite des Flusses zu gelangen, den er von seinem Turmzimmer aus gesehen hatte. In der Ferne hörte er Verkehrslärm. James Carlton ließ sich so wenig wie möglich blicken. Er trug die Katze, die (wohl aus Mangel an Jell-O) ganz schwach war. Rechts von ihm wuchs leuchtendgrünes Gras. Zuerst dachte er, es wäre ein Golfplatz.
    Er ging über die Kuppe eines Hügels und sah Reihen um Reihen von Grabsteinen. James Carlton wußte nicht, daß es so viele Tote auf der Welt gab. Reihe um Reihe. Und da unten eine kleine Gruppe von Leuten.
    Dann hörte er es. Jemand spielte einen Zapfenstreich. Er hatte gedacht, das gäbe es nur im Kino. Mit der Katze auf einem Arm stand James Carlton so gerade, wie er konnte, und salutierte. Es war der langsamste, jammervollste Klang, den er im Leben gehört hatte. Und als hätte ihm jemand ein Bajonett mitten durchs Herz gestoßen, wußte er mit Sicherheit, daß sein Dad tot war.
    Sein Dad war kein Baseballspieler oder etwas Derartiges: Sein Dad war als Held gestorben. Und dann dachte er: Vielleicht war die komische Vision von Sissy, wie sie hinter Toten und Blut und Pistolenschüssen herrannte, eine alte Erinnerung, die aus einem dunklen Ort in seinem Gehirn auftauchte.
    Die graue Katze gab ein leises, gequältes Knurren von sich.
    James Carlton machte kehrt und ging wieder auf den Fluß zu.
    Er mußte es einfach akzeptieren: Sein Dad war tot, und an seiner Stelle gab es nur Farraday. Na ja, das war nicht so schlecht. Aber lieber würde er in eine Flammenhölle springen, als sich mit dieser Amelia Blue abzufinden.
    Jedenfalls war seine richtige Mom in Hollywood, vielleicht.
    Vielleicht erinnerte sie sich sogar daran, daß er vermißt war.
     
    Als er die Brücke über den Fluß erreichte, war es taghell. James Carlton bog in die erste Straße ein, an die er kam. Immer noch trug er die Katze aus Angst vor den Autos.
    Er fragte einen grauhaarigen Mann in engen Jeans mit einem Ring im Ohr nach dem Polizeirevier. Der Mann schien wie zu einer Musik in seinem Kopf leicht zu schwanken und sagte, er wüßte nicht, ob hier eines wäre. Die Straße war voller Geschäfte – schick aussehende Boutiquen und Feinkostläden –, die alle noch zu waren, manche mit Gittern davor.
    Der nächste, den James Carlton ansprach, war ein über eine Mülltonne gebeugter alter Mann, der die Frage nicht zu verstehen schien und ihn um Geld bat.
    Endlich bekam er Auskunft von einer bieder und matronenhaft aussehenden Frau in Weiß, die er für eine Krankenschwester hielt. Sie
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