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Inspektor Jury küsst die Muse

Inspektor Jury küsst die Muse

Titel: Inspektor Jury küsst die Muse
Autoren: Martha Grimes
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nicht, denn Schoenberg unterbrach ihn unter schallendem Gelächter.
    «Hat Harvey Sie angesteckt?»
    «Gewissermaßen. Aber haben Sie etwas Geduld.»
    Schoenberg machte eine großmütige Geste mit der Hand. «Schießen Sie los. Ich dachte, ich hätte bereits alle Einzelheiten über Marlowes Tod gehört.»
    Plant lächelte verbindlich. «Angenommen, Motiv und Gelegenheit wären vorhanden, dann hätten Sie genug gewußt, um den Mord an Ihrem Bruder wie den an Marlowe aussehen zu lassen.»
    Schoenbergs Lächeln war so dünn wie eine Rasierklinge. «Aber es gibt kein Motiv, und sofern Sie nicht davon ausgehen, daß ein anderer die übrigen Morde begangen hat – ich war in den Vereinigten Staaten. Ein Dutzend Leute können das bezeugen.»
    «Davon bin ich überzeugt», sagte Jury.
    Schoenberg sah ihn an.
    «Wissen Sie», sagte Melrose, «die Geschichte, die sich um Nashe rankt, ist äußerst interessant.»
    «Kann ich nicht behaupten, aber Sie werden mir bestimmt erklären, auf was Sie hinauswollen.»
    «Ja. Zum einen gibt es zu Marlowes Tod eine sehr interessante These; eine, die Ihr Bruder seltsamerweise nicht erwähnt hat.» Melrose hielt den Computerausdruck hoch. «Steht alles hier drin.»
    «Soso. Und was steht drin? Der Name des Mörders?»
    Wiggins holte ein Blatt Papier aus seiner Tasche. «Könnte man sagen, Sir.» Seine Stimme war heiser, zur Abwechslung mal nicht von einer Halsentzündung.
    Plant fuhr fort: « Ursprünglich hieß es, Marlowe sei im Jahre 1593 an der Beulenpest gestorben. Interessant ist, daß im Lauf der folgenden fünfzehn Jahre nur die Feinde Marlowes die Geschichte, der zufolge er in einem Gasthof in Deptford erstochen worden sein soll, verbreitet haben. Seine Freunde haben nie daran geglaubt. Im Bericht des Leichenbeschauers war von einem Christopher Morley die Rede. Nun war Morley ein ziemlich häufiger Name. Es war wegen der damaligen Vielfalt von Schreibweisen fürchterlich kompliziert, Dokumente zu identifizieren. Shakespeare selbst hat seinen Namen verschieden –»
    Schoenberg rutschte ungeduldig auf dem Sofa hin und her. «Mein Gott, ich weiß, daß es unterschiedliche Schreibweisen gab; seit Jahren lehre ich dieses Zeug.»
    «Gelegentlich unterschrieb Marlowe mit ‹Morley› – aber nur bis zu einem bestimmten Zeitpunkt, danach nie wieder. Später benutzte er den Namen ‹Marley› oder eine andere Variante von ‹Marlowe›. Es gab jedoch einen anderen ‹Christopher Morley›, der zufällig ein Agent war und zwischen England und den Niederlanden hin und her pendelte. Was die anderen betrifft: Robert Poley – einer der drei Beteiligten – war angeblich an dem Tag, an dem Marlowe starb, in Den Haag. Das bedeutet, er muß heimlich nach Deptford gekommen sein. Es gab auch zwei Nicolas Skeres – mindestens zwei –, und im Bericht des Leichenbeschauers steht der Name ‹ Francis Frazir›. Nicht Ingram Frazir –»
    Nun ließ Schoenberg seinem Ärger freien Lauf: «Was zum Teufel hat das alles mit Harvey zu tun?»
    «Wenn Sie mich einmal ausreden ließen.» Melrose zündete sich eine seiner dünnen Zigarren an. «Es ist durchaus möglich, daß dieser Mann, von dem seine Feinde behaupten, er sei Christopher Marlowe, mit der in dem Gasthaus in Deptford Strand getöteten Person nicht identisch ist. Und daß Marlowe in der Tat an etwas anderem gestorben ist.»
    «Sechzehn Geschworene haben die Leiche identifiziert», beharrte Jonathan.
    Melrose lächelte. «Sie haben eine Menge von Ihrem Bruder gelernt. Die Identifizierung dürfte jedoch ziemlich schwierig gewesen sein, da das Opfer die Dolchstiche ins Gesicht bekommen hat.»
    «Warum ist Marlowe dann nicht auf den Plan getreten und hat sie aufgeklärt?» Schoenberg schien gegen seinen Willen fasziniert.
    «Ganz einfach. Eine politische Intrige. Man hatte ihm befohlen, nicht in Erscheinung zu treten.»
    «Und dann von den Toten aufzuerstehen?»
    «Christopher Marlowe könnte Selbstmord begangen haben.» Melrose zog an seiner Zigarre. «Gründe genug gab es. Das Gefängnis von Newgate. Den Tod Tom Watsons. Den Verrat durch seinen besten Freund Walsingham. Marlowe muß ein äußerst verzweifelter junger Mann gewesen sein. Ein Selbstmord scheint mir durchaus im Bereich des Möglichen gelegen zu haben.»
    Schoenberg hob die Hände. «Hervorragend. Sie haben also Christopher Marlowes Tod aufgeklärt. Würden Sie mir jetzt freundlicherweise verraten, was das mit Harvey zu tun hat? Wollen Sie damit andeuten, mein Bruder habe Selbstmord
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