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Inside WikiLeaks

Titel: Inside WikiLeaks
Autoren: Daniel Domscheit-Berg
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die »Betriebsgeheimnisse« von einem »ehemaligen Mitarbeiter gestohlen« worden waren, der damit gegen eine »schriftliche Vertrauensvereinbarung« verstoßen hätte. Der Richter gab dem Antrag statt. Die Seite wikileaks.‌org wurde daraufhin vom Netz genommen. Sie hatten uns gelöscht. Das dachten sie zumindest. Sie hatten ja keine Ahnung von diesem Teil des Prinzips WikiLeaks, das bedeutete: Sobald man eine Seite vom Netz nahm, ploppten an anderer Stelle gleich hundert weitere auf. Deshalb war es quasi unmöglich, uns mundtot zu machen.
    Ein weltweiter Sturm der Empörung brach los. Unsere Telefone klingelten ununterbrochen. Journalisten aus vielen Ländern wollten mit uns sprechen, wir brauchten Tage, um alle Mails zu beantworten. Wegen der Zeitverschiebung schlief ich kaum noch. Es entstanden zahlreiche Artikel und Sendungen, in denen die Medien über den Fall berichteten.
    Die Journalisten waren so klug, auf die etwa 200 weiteren Websites hinzuweisen, über die WL nach wie vor erreichbar blieb. Die New York Times widmete dem Fall mehrere Artikel und veröffentlichte unsere IP -Adresse. Das Ganze gipfelte in der Headline von CBS News : »Freedom of Speech has a Number«. Die Redefreiheit hat eine Nummer. Und diese Nummer war die IP -Adresse von WikiLeaks: 88.80.13.160. WIR waren die Nummer. Eine ganz schön große sogar.
    So wurden wir Anfang 2008 innerhalb weniger Tage bekannt. Ohne die Klage von Julius Bär hätten wir das niemals so schnell erreicht. Wir bekamen danach viel Zuspruch, Hilfsangebote und neue Dokumente. Ich weiß nicht, wann sich mein Leben davor schon einmal so rasant angefühlt hatte.
    Die Krönung aber war, dass wir den arroganten Anwälten Paroli bieten konnten. Nach knapp zehn Tagen revidierte der Richter sein vorschnelles Urteil, und die Seite wurde wieder freigeschaltet. Dafür ist wohl nicht zuletzt der öffentliche Druck verantwortlich gewesen. Eine Woche später ließ auch das Bankhaus Julius Bär die Klage fallen. Erst vor kurzem habe ich gelesen, dass der Geldzufluss der Bank durch europaweite Ermittlungen zum Steuerbetrug im Jahr 2010 drastisch zurückgegangen ist. Es gab übrigens auch nie wieder eine Klage gegen WikiLeaks.
    Wir publizierten den gesamten Schriftverkehr, der zwischen uns und den Anwälten hin- und herging. Hätte Julius Bär die Publikation stillschweigend akzeptiert, wäre der Schaden für die Bank deutlich geringer gewesen.
    An der Kommunikation waren – scheinbar – zahlreiche Menschen beteiligt. Wohingegen selbst in unseren besten Zeiten bei WL nie mehr als eine Handvoll Leute mit den wichtigsten Aufgaben betraut war. Ehrlich gesagt, waren es über weite Strecken nur Julian und ich, die einen Löwenanteil der Arbeit erledigten. Wenn ein »Thomas Bellmann« oder ein »Leon aus dem Tech-Department« Mails beantwortete oder versprach, die Anfrage an die Rechtsabteilung weiterzugeben, dann war das niemand anderes als ich.
    Auch Julian arbeitete mit allen möglichen Namen. Ich werde immer noch gefragt, ob ich Kontakte zu Leuten aus dem Projekt vermitteln kann. Ich gebe die E-Mail-Adressen gerne weiter. Aber ich weiß bei einigen Namen bis heute nicht, ob es sich bei diesen Personen um reale Menschen handelt oder nur um einen weiteren Julian Assange. »Jay Lim« kümmerte sich bei uns um Rechtsfragen. Jay Lim? Ein Chinese vielleicht? Ich habe ihn weder getroffen noch gesprochen. Auch mit den chinesischen Dissidenten, die an der Gründung von WikiLeaks beteiligt gewesen sein sollen, hatte ich nie Kontakt.
    Zu lange gab es auch nur einen einzigen Server, obwohl uns beiden klar war, dass wir das nach außen anders kommunizieren mussten. Unsere Infrastruktur sollte breit aufgestellt wirken. Wenn dieser Rechner ausfiel, hielt man es draußen im Zweifel für einen feindlichen Angriff oder Zensur, tatsächlich hieß das ganze Geheimnis schlicht: Technikschrott. Vielleicht auch Unprofessionalität, zumindest Nachlässigkeit, wenn man ehrlich war. Hätte die gegnerische Seite damals gewusst, dass wir nur zwei extrem großmäulige junge Männer mit einer einzigen Uralt-Maschine waren, hätte sie eine Chance gehabt, den Aufstieg von WikiLeaks zu stoppen. Oder uns zumindest deutlich mehr Ärger zu machen.
    2009, auf unserem letzten gemeinsamen Chaos Communication Congress , saßen Julian und ich in einem Vortrag, bei dem es um ein neues Programm zur Literaturanalyse ging. Die Referenten legten dar, wie einfach es sei, unterschiedliche Texte auf ein und denselben Urheber
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