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Inside WikiLeaks

Titel: Inside WikiLeaks
Autoren: Daniel Domscheit-Berg
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bearbeiten.
    Obwohl die Veranstalter abends alles daransetzten, sich des beharrlichen Gastes wieder zu entledigen, war Julian der Meinung, es stünde ihm zu, hier zu übernachten. Was er auch tat, vermutlich in seine Jacke gewickelt und auf den Tischen, die Fliesen waren sicherlich zu kalt.
    Mein Gedanke, als ich ihn zum ersten Mal sah: cooler Typ. Er hatte eine olivgrüne Cargohose an und dazu ein schneeweißes Hemd, mit einer grünen Anzugweste aus Wolle darüber. Julian stach heraus, sein weißes Hemd blitzte aus der Menge.
    Er bewegte sich sehr energisch, lässig, in großen Schritten. Wenn er die Treppen nahm, bebten die Planken. Es gibt Menschen, die auftreten, als wäre jeder Schritt eine Belastungsprobe für ihren Untergrund. Manchmal nahm er Anlauf, sprang und schlitterte ein Stück mit seinen ausgelatschten Camelboots über den frisch gebohnerten Boden. Oder er rutschte das Treppengeländer herunter und überschlug sich fast bei der Landung. An so etwas hatte auch ich Spaß.
    Das erste Mal trafen wir uns an der Wendeltreppe des BCC im ersten Stock. Es war an diesem Tag unfassbar voll. Unten bettelten verspätete Gäste um Einlass. Der Besucherrekord von 3000 Menschen war soeben gebrochen worden, und diese Menge schob sich plappernd durch die Gänge des Kongresscenters. Manchmal steckte man für zwanzig Meter Luftlinie eine Viertelstunde im Besucherstau. Bei uns oben, am Treppenaufgang, war es ein wenig ruhiger. Links stand ein weißes Ledersofa mit Blick auf den Alex. Julian und ich machten es für die nächsten Tage zu unserem Treffpunkt. Wenn einer zur Toilette musste oder sich etwas zu essen holte, passte der andere auf die Sachen auf. Die lauernden Blicke müder Kongressbesucher erwiderte ich mit einem Zähnefletschen.
    Zuerst redeten wir stundenlang. Später saßen wir oft ruhig nebeneinander, Julian arbeitete versunken an seinem Rechner, ich tat es ihm gleich.
    Ich weiß nicht, womit Julian gerechnet hatte, als er seine Reise nach Berlin antrat. Mir war der Kellerraum, den man uns für die Präsentation zugewiesen hatte, unangenehm. Zum Glück war er klein. Denn zu dem Vortrag kamen nicht einmal zwanzig Leute – kein einziges bekanntes Gesicht aus dem Club war darunter, was mich besonders betrübte. Ich verstand nicht, warum sich keiner von ihnen für die Idee von WikiLeaks interessierte.
    Ich saß ganz vorne auf der rechten Seite und beobachtete Julian, der in seinem freundlichen, australischen Akzent von WL erzählte. Julian trug jeden Tag die gleichen Klamotten. Das strahlend weiße Hemd, das mich bei unserem ersten Treffen so beeindruckt hatte, sah mittlerweile schon nicht mehr ganz so glanzvoll aus.
    Wenn Julian enttäuscht war, so wenig Zuhörer in den Keller gelockt zu haben, so ließ er sich das zumindest nicht anmerken. Er sprach 45 Minuten lang, und als drei der Zuhörer im Anschluss noch etwas wissen wollten, beantwortete er geduldig ihre Fragen.
    Mir tat er ein bisschen leid. Immerhin hatte er seine Anreise selbst bezahlt. Wenn ich mich zu den Zuhörern umdrehte, blickte ich zuweilen in etwas ratlose Gesichter.
    Seine Vorträge würde er später deutlich anschaulicher gestalten und mit mehr Beispielen unterfüttern, damals stellte er alles noch sehr theoretisch dar. Julian war wirklich unermüdlich darin, bei anderen für seine Idee zu werben. In den darauffolgenden Monaten –  WL war immer noch sehr unbekannt und man verwechselte uns häufig mit Wikipedia – haben wir so gut wie jedem von WL erzählt, der bereit war, uns auch nur ein paar Minuten zuzuhören. Und wenn es nur drei Leute waren. Heute kennt uns die ganze Welt. Damals zählte jede Seele.
    Als auch diese drei Zuhörer keine Fragen mehr hatten, packte Julian seine Sachen, ging zurück zum Sofa und verbuddelte sich wieder in seine Arbeit.
    Erst im Nachhinein habe ich erfahren, wie viel Ärger es mit den Veranstaltern gab und dass Julian mit vielen meiner Bekannten aneinandergeraten war. Der Club, der für mich damals schon so etwas wie meine soziale Heimat war, blieb nach unserem Auftritt lange skeptisch gegenüber WikiLeaks. Ich habe mich in den darauffolgenden Monaten immer wieder gefragt, woran das gelegen hat.
    Mich hatte Julians Auftreten beeindruckt. Dieser drahtige Australier ließ sich von niemandem etwas sagen und durch nichts davon abbringen, an seiner Sache zu arbeiten. Er war außerdem sehr belesen und hatte zu vielen Dingen eine explizite Meinung. Seine Haltung zur Hacker Community zum Beispiel war eine ganz
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