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Inside WikiLeaks

Titel: Inside WikiLeaks
Autoren: Daniel Domscheit-Berg
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Liste der dort verzeichneten Unterstützer veröffentlichen, sondern auch ihre genauen Kreditkarten-Daten, inklusive der Prüfnummern. Zwar informierten wir alle Betroffenen per Mail über die bevorstehende Veröffentlichung, damit sie ihre Konten sperren lassen konnten. Die Daten waren zudem schon seit mehreren Wochen in Tauschbörsen zu finden. Dennoch schien mir das Risiko zu groß – und vor allem unnütz. Die exakten Kreditkarten-Daten von den Coleman-Spendern hatten keinen weiteren Erkenntniswert. Nach langem Gezeter einigten wir uns auf eine Veröffentlichung, in der die letzten Stellen der Kreditkarten-Nummern geschwärzt waren.
    Julian schien es zu genießen, so viel Ärger wie möglich zu verbreiten. Er erklärte mir, Menschen ärgerten sich gerne. Spam zum Beispiel hielt er für ein willkommenes Übel, über das sich die Menschen gerne erbosten. Man tat ihnen damit indirekt einen Gefallen, glaubte er. Zufällig war ihm kurz zuvor ein Fehler mit einem Mailverteiler unterlaufen, wodurch 350 000 Menschen in einer wiederkehrenden Schleife Mails von WikiLeaks erhielten. Unsere Mailadresse landete daraufhin in einigen Filterlisten für Spam, und es war nicht so leicht, uns da wieder herauszunehmen. Julian schaffte es dennoch, dem Ganzen etwas Positives abzugewinnen, indem er behauptete, die Leute freuten sich, wenn sie sich aufregen dürften.
    Ähnlich wichtig nahmen wir lange Zeit die Regel, Dokumente in der Reihenfolge ihres Eingangs zu bearbeiten. Wir wollten alles publizieren, was uns erreichte, eine Mindest-Relevanz vorausgesetzt. Das haben wir bis Ende 2009 auch so durchgehalten. Bis vor allem Julian immer mehr darauf drängte, die medienwirksamen Themen unter hohem Zeitdruck zuerst nach draußen zu pusten – ein Vorgehen, das später für erheblichen Streit zwischen uns sorgen sollte.
    Doch zu Bären-Zeiten wäre ernsthafter Streit zwischen Julian und mir undenkbar gewesen. Wir sahen uns selten, meistens chatteten wir. Wenn wir uns trafen, war es herzlich. Er sagte immer »Hoi« als Begrüßung. Und »How goes?«, um zu fragen, wie es mir ginge. Julian war vielleicht kein sonderlich verbindlicher Typ, aber er hatte das Talent, ein warmes Gefühl gegenseitiger Anerkennung herzustellen.
    Schon damals konnten wir uns nicht an normalen Plätzen verabreden. Julian hatte Sorge, dass man uns beobachtete. Er fand es zu gefährlich, wenn man uns zusammen sah. Ich holte ihn auch nie vom Flughafen ab oder vom Bahnhof, er schlug meistens irgendwo auf, klopfte spät abends an der Tür oder bat mich kurzfristig an einen Treffpunkt. Ich weiß noch, wie wir uns Ende 2008 nach langer Zeit das erste Mal wiedersahen und ich ihn in Berlin unten in der U-Bahn-Station »Rosa-Luxemburg-Platz« abholte. Er kam auf mich zu, wir umarmten uns fest.
    »Gut, dich zu sehen«, sagte er.
    »Finde ich auch«, antwortete ich.
    Ich hatte ihn gerne um mich. Ich wusste, er kämpfte für dieselbe Sache wie ich. Er machte sich genauso wenig daraus, dass er sich für viel Geld an die Industrie hätte verkaufen können. Und es ging auch ihm darum, etwas Nützliches für die Gesellschaft zu tun und den Bastards auf die Mütze zu hauen, wie er mal gesagt hat.
    An einem Wochende im Sommer 2008 organisierten wir uns einen Mietwagen, einen silbernen Mercedes C-Klasse-Kombi. Wir luden den Kofferraum voll mit Servern, die wir von den ersten Spenden gekauft hatten, und machten eine kleine Europa-Tournee. Das war dringend nötig. Unsere Infrastruktur ächzte unter den zunehmenden Einsendungen und Seitenabrufen. Für den Anfang war es in Ordnung gewesen, sich ein bisschen größer zu machen, als wir tatsächlich waren. Aber eigentlich war unsere technische Infrastruktur eine Zumutung. Unverantwortlich. Hätte damals jemand herausgefunden, wo unsere Maschine stand, er hätte WL sehr einfach den Garaus machen können.
    Ich hatte eine Route für unsere Standorte ausgetüftelt. Sie sollten im In- und Ausland sein, möglichst unauffällig, möglichst sicher. Die Orte mussten unbedingt geheim gehalten werden – auch um die Leute, die den Serverplatz für uns anmieteten, nicht in Gefahr zu bringen.
    Wir hatten an diesem Wochenende eine anstrengende Tour vor uns. Die Mitarbeiter der Mietwagenfirma sollten 24 Stunden später, als wir den Wagen zurückbrachten, ziemlich erstaunt auf den Tacho gucken – wir hatten 2100 Kilometer zurückgelegt.
    Ich musste also aufs Gaspedal treten, im Rückspiegel immer die folgenden Wagen im Blick, aus Sorge, jemand
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