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Inside WikiLeaks

Titel: Inside WikiLeaks
Autoren: Daniel Domscheit-Berg
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der Einzige. Mir tat er leid. Aber bei allen anderen Beschwerden, Drohungen und Bitten, die uns zu unseren Leaks davor und danach noch erreichen sollten, handelte es sich am Ende immer um den Versuch, die eigenen Missetaten zu verschleiern. Die Leute gaben sich selbst bei Google ein und entdeckten den Link, der auf WL verwies. Dann meldeten sie sich aufgeregt bei uns. Von Drohungen über Bitten bis hin zu Bestechungsversuchen ließen sie nichts unversucht. Wir hatten unseren Spaß mit ihnen.
    Wir hatten beispielsweise eine Klageschrift von Rudolf Elmer veröffentlicht. Elmer war bis 2003 Vizechef für Julius Bär auf den Cayman Islands gewesen und hatte 2008 eine Beschwerde wegen verschiedener Verstöße gegen die Menschenrechtskonvention beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eingereicht. Viele glauben, dass Elmer auch die Quelle für die Julius-Bär-Daten war. Auf jeden Fall war er spätestens nach dem Verlust seines Jobs bei Julius Bär zu einem engagierten Kämpfer gegen das Schweizer Bankengesetz geworden. In einem Nebensatz steht in dieser Klage, dass sich ein John Reilley* von der Bank Julius Bär habe beraten lassen. Reilley* ist ein bekannter Investor, der sich auf seiner Homepage selbst als Großfinancier von sozialen Projekten und als »Philanthrop« feiern lässt.
    Ein paar Tage nach der Veröffentlichung meldete sich ein gewisser Richard Cohen* bei uns. Er begann sein Schreiben mit einer Lobeshymne auf WikiLeaks, formulierte rühmend weiter und endete mit dem Vorschlag, er würde ja gerne spenden, aber weil PayPal derzeit nicht funktioniere, möchte er noch lieber ein eigenes Fundraising in Manhattan für uns organisieren. Dann erwähnte er in einem Nebensatz, dass er »zufällig« bei WL einmal nach seinem Investor geguckt habe, und na, wie könne denn das angehen, da tauche ja John Reilley* im Zusammenhang mit diesen Steuerbetrügereien auf. Reilley* sei über jeden Zweifel erhaben. Ob es sich möglicherweise um einen Übersetzungsfehler handele?
    Sein freundlicher Ton änderte sich, als wir in wenigen Sätzen zurückschrieben, mit unserer Übersetzung sei alles in bester Ordnung.
    Uns wurde mit einer Reihe von Anwälten, Gerichtsverfahren und Maßnahmen gedroht, Transparency International und der liebe Gott sollten informiert werden. Auf mehr als einer Seite führte Cohen* aus, wie der Apparat uns alsbald in der Luft zerreißen, wie eine Fliege zerquetschen und von der Stiefelspitze wischen würde. Unsere nächste Antwort war noch kürzer: »Stop wasting our time and yours with this idiocy.« 2
    Ich gebe zu, dass es manchmal ein gutes Gefühl war, sich vorzustellen, wie die Gegenseite vor Wut in die Stuhllehne biss. Mich hatten in diesem Leben ja nun auch schon ein paar Leute geärgert.
    Wir entwickelten ein gutes Gefühl für Anfragen, die mit Lobeshymnen begannen. Sie endeten fast immer übel.
    Wir veröffentlichten auch die Antworten unserer Gegner, ihre Hymnen und Flüche auf unserer Seite. Sobald wir sie darauf hinwiesen, brach der Ansturm abrupt ab.
    Dass wir alles publizierten, was bei uns einging, entsprach unserem Verständnis von Transparenz. Wie hätte man es auch anders handhaben sollen? Man hätte uns sonst Parteilichkeit vorgeworfen. Ob es die Rechten traf oder die Linken, sympathische Menschen oder doofe, wir veröffentlichten alles. Höchstens Belangloses filterten wir heraus. Sicher gingen unsere Publikationen mitunter sehr weit, private E-Mails, die das Leben von unbeteiligten Dritten betrafen, waren nicht ausgenommen.
    Wir veröffentlichten zum Beispiel auch den Mailverkehr des Holocaust-Leugners David Irving. Damit vermasselten wir ihm indirekt seine Lesereise durch die Vereinigten Staaten. Nach dem Bekanntwerden seiner Auftrittsorte hatte kaum noch ein Veranstalter Lust, sich einen Aufmarsch protestierender Irving-Gegner einzuhandeln. Gleichzeitig enthüllten die Mails den rabiaten Umgang des umstrittenen Historikers mit seiner eigenen Assistentin. Das war zweifelsohne eine private Angelegenheit. Vermutlich war die Veröffentlichung für die Mitarbeiterin unangenehm. Wer wird schon gerne als Opfer bloßgestellt? Aber um unparteiisch zu bleiben, mussten wir unseren Willen zur Transparenz zum ehernen Prinzip erheben.
    Julian gingen Prinzipien über alles. Als eine unserer Quellen eine Sicherheitslücke auf der Website des amerikanischen Senators Norm Coleman aus Minnesota entdeckte und uns kurzerhand die öffentlich einsehbaren Daten zusandte, wollte Julian nicht nur die
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