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Inselzirkus

Titel: Inselzirkus
Autoren: Gisa Pauly
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Inbrunst ihre Enkelin »Minna von Barnhelm« auswendig gelernt hatte, um gut gerüstet für das Casting zu sein.
    An ihr lag es wirklich nicht, dass sie plötzlich der Casting-Chefin aufgefallen war. Total unaufdringlich hatte sie sich verhalten, war nur ein wenig herumgeschlendert und hatte die Zirkuswagen betrachtet, als ginge sie das Casting überhaupt nichts an. Was konnte sie dafür, dass die Produktionsgesellschaft unbedingt ältere Komparsen haben wollte? Und dass Mamma Carlotta weit und breit die Einzige war, die die dreißig überschritten hatte? Wenn man mal von Busso Heinemann absah. Ihre Enkelkinder, vor allem Carolin, blickten sie trotzdem strafend an, während sie an ihnen vorbei auf den Tisch zuging, hinter dem die Casting-Chefin residierte.
    Â»Wie sieht’s mit Ihnen aus?«, wurde Mamma Carlotta gefragt. »Haben Sie Lust, als Komparsin zu arbeiten?«
    Mamma Carlotta stand da wie vom Donner gerührt. Vorsichtshalber drehte sie sich nicht zu Felix und Carolin um, als sie antwortete: »Wenn Sie meinen!« Sie gab sich große Mühe, so auszusehen, als wäre ihr dieses Angebot gleichgültig und sogar ein wenig lästig. Trotzdem ergänzte sie vorsichtshalber: »Wenn ich Ihnen damit einen Gefallen tue, will ich nicht so sein.«
    Nun wurde die Casting-Chefin sogar freundlich. »Sie sind Italienerin? Könnte sein, dass ich dann sogar eine kleine Sprechrolle für Sie habe. Trauen Sie sich das zu?«
    Â»Ma certo«, hätte Mamma Carlotta am liebsten gerufen, spürte aber die bohrenden Blicke ihrer Enkel im Rücken und beließ es daher bei einem zaghaften Nicken. »Ich werd’s versuchen.«
    Â»Perfekt! Dann gehen Sie bitte zu Tanja hinüber.« Die Casting-Chefin wies zu der dicken Frau, die sich um die zwanzig Auserwählten kümmerte, die von allen anderen neidisch beäugt wurden. »Sie wird Ihre Personalien aufnehmen und Ihre Handynummer notieren, damit wir Sie jederzeit erreichen können.«
    Die Gedanken jagten durch Mamma Carlottas Kopf. Handynummer? Sie besaß kein Handy! Aber sollte sie das zugeben? Dann war sie ihre Komparsenrolle womöglich gleich wieder los! Ob Felix ihr wohl sein Handy leihen würde, den einzigen Gegenstand, auf den er sorgfältig achtgab? Oder Carolin? Konnte Mamma Carlotta erwarten, dass ihre Enkelin für eine Weile auf ihr Handy verzichtete, wo sie schon keine Komparsenrolle bekommen hatte? Nein, das konnte sie Carolin nicht antun!
    Sie richtete sich auf und sah die Casting-Chefin an wie ein Star, der gebeten worden war, sich unter Wert zu verkaufen. »Eine Bitte habe ich noch! Meine Enkel müssen auch Komparsenrollen bekommen. Das ist meine Bedingung.« Sie drehte sich um und stellte fest, dass Carolin und Felix die Einzigen waren, die noch direkt hinter ihr standen. Alle anderen hatten eingesehen, dass sie zu spät gekommen waren.
    Mamma Carlotta winkte die beiden mit einem verschwörerischen Augenzwinkern, das die Casting-Chefin nicht sehen konnte, an ihre Seite. »Felice! Carolina! Kommt her!« Anschließend lächelte sie die Casting-Chefin so lange an, bis die endlich zurücklächelte. »Meine Enkelin will Schauspielerin werden. Sie lernt gerade ein Stück auswendig. Diese Minna … von diesem Dichter …«
    Nun schien Carolin das Gefühl zu haben, dass der Moment da war, auf den es ankam. Sie trat einen Schritt vor und sagte: »›Minna von Barnhelm‹ von Gotthold Ephraim Lessing. Ich möchte mal die Rolle der Minna spielen. Vielleicht auch die der Franziska, wenn ich für die Minna noch zu jung bin.«
    Â»Das hättest du dir sparen können«, brummte die Casting-Chefin. »Wenn wir dich brauchen, dann nur, um von links nach rechts zu laufen oder umgekehrt.«
    Nun machte Felix auf sich aufmerksam. »Das kriege ich hin«, sagte er und ließ seine dunklen Augen blitzen, die eindeutig eine größere Wirkung auf die Casting-Chefin hatten als »Minna von Barnhelm«.
    Â»Also gut, meinetwegen.« Die Casting-Chefin betrachtete Felix mit einem anerkennenden Blick. »Deine Klamotten sind genau richtig. Komm ja nicht auf die Idee, was anderes anzuziehen, wenn es so weit ist.«
    Felix strahlte. »Geil!« Derartigen Zuspruch hatte er noch nie bekommen, wenn es um seine Garderobe ging. Seit Jahren ließ er an seinen Körper nichts anderes heran als überdimensionale Jeans, die die obere
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