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Inselzirkus

Titel: Inselzirkus
Autoren: Gisa Pauly
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schwerer fangen ließen, je fettglänzender die Finger waren und je unkoordinierter die Bewegungen wurden. Erik ärgerte sich, dass er diese Feier am helllichten Tag nicht verhindert hatte, und brachte unauffällig ein paar Akten in Sicherheit, als er sah, dass sich Vetterich, der Chef der Spurensicherung, die Finger daran abwischte. Und als Rudi Engdahl zum mindestens siebten Mal die Schnapsgläser nachfüllte, fragte er seinen Assistenten flüsternd: »Haben Sie wirklich die Eingangstür abgeschlossen? Wäre ja peinlich, wenn ausgerechnet jetzt jemand käme.«
    Sörens rundes Gesicht mit den glänzenden roten Wangen hatte sich von Stunde zu Stunde tiefer verfärbt. »Die Tür ist zu«, entgegnete er und schien mit diesen vier Wörtern rhetorisch schon überfordert zu sein.
    Deshalb fügte Dr. Hillmot, der trinkfeste Gerichtsmediziner, begütigend hinzu: »Es ist doch zurzeit nichts los. Die Vorsaison beginnt ja gerade erst.«
    Erik nickte und kippte den Schnaps, den Engdahl ihm gerade eingeschenkt hatte, unauffällig in eine der Topfpflanzen, die schon so viel überstanden hatten, dass sie wohl auch an diesem Schnaps nicht eingehen würden. Hoffentlich würde es auf Sylt in den nächsten Stunden keinen Verkehrsunfall geben, der die Kollegen vom Streifendienst voll in Anspruch nähme. Sie hatten nämlich versprochen, Rudi Engdahl und seine Geburtstagsgäste nach Hause zu bringen, wenn der Umtrunk vorbei war.
    Schon jetzt gab es keinen mehr unter ihnen, der fahrtüchtig war. Schlimmer! Die meisten von ihnen waren kaum mehr in der Lage, einen zusammenhängenden Satz zu formulieren, und gelacht wurde mittlerweile über die Fliege an der Wand. Das Gegröle, das durchs Polizeirevier Westerland dröhnte, war für Erik, der noch nie in seinem Leben in lautes Gelächter eingestimmt hatte, nur schwer zu ertragen. An die ohrenbetäubenden Unterhaltungen, die ihm in Umbrien entgegengeschlagen waren, wenn er die Familie seiner Frau besuchte, hatte er sich einigermaßen gewöhnt, und seinen italienischen Verwandten hielt er zugute, dass sie sich benahmen, wie es ihrer Mentalität entsprach. Wenn sich aber Menschen so gebärdeten, ohne dass es ihrer Wesensart entsprach, war das weitaus schlimmer. Die Mitarbeiter des Polizeireviers Westerland wurden Erik von Stunde zu Stunde und von Glas zu Glas fremder.
    Der Einzige, der sich auch unter Alkoholeinfluss so verhielt wie immer, war Dr. Hillmot. Das lag womöglich daran, dass der Beruf ihn abgestumpft hatte. Der dicke Gerichtsmediziner reagierte auf alles mit Gleichmut – auf eine Leiche genauso wie auf drei Gläser Ramazzotti, auf lallende Polizeibeamte oder den Mageninhalt eines Kollegen, der es nicht mehr bis zur Tür schaffte und sich geistesgegenwärtig in den Übertopf einer schütteren Sansevieria erbrach.
    Das Grölen der Geburtstagsgäste, die ihren Kollegen samt Sansevieria und Übertopf aus dem Raum schoben, weckte Enno Mierendorf, der soeben den Kampf gegen die Müdigkeit verloren hatte und Anstalten machte, vom Stuhl zu sinken. Schlagartig erinnerte er sich, an welchem Stand der Unterhaltung er sich geistig aus dem Staub gemacht hatte. »Da fällt mir auch ein guter Witz ein! Also … kommt ein Mann zur Polizei …«
    Mierendorf glaubte zunächst, die jäh einsetzende Stille hätte mit dem allseitigen Interesse an seinem Witz zu tun. Dann aber ging ihm auf, dass das Telefon zu läuten begonnen hatte.
    Erik, der jeden zweiten Schnaps in der Topfblume entsorgt hatte, erkannte etwas schneller als alle anderen, dass Schwierigkeiten auf sie zukommen könnten. »Vielleicht ist es nur jemand, der eine Anzeige aufgeben will, den können wir auf morgen vertrösten. Aber es könnten auch die Kollegen von der Streife sein. Wenn die eine Massenkarambolage haben …«
    Â»â€¦ fahren wir eben Taxi«, ergänzte Sören und griff nach der Schnapsflasche.
    Â»Es könnte auch die Staatsanwältin sein«, meinte Erik und registrierte, dass Sören die Flasche prompt wieder wegstellte.
    Erik ging zum Telefon und legte den Zeigefinger auf die Lippen, ehe er den Hörer abnahm. Tatsächlich waren von da an nur Geflüster und unterdrücktes Prusten zu hören.
    Das Gespräch dauerte nicht lange. Hinterher flüsterte niemand mehr, und Enno Mierendorf dachte nicht mehr daran, den Witz zu Ende zu
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