Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Inselzirkus

Titel: Inselzirkus
Autoren: Gisa Pauly
Vom Netzwerk:
Nordseeluft beigefügt hatte. Über dem Platz hing der Duft von gebratenem Fisch, den Erik eigentlich liebte, der in diesem Moment jedoch verhängnisvoll werden konnte. Er atmete so flach wie möglich und versuchte den Gedanken zu verdrängen, dass ein gebratenes Rotbarschfilet, ehe es auf den Teller kam, ein glitschiger Fisch gewesen war, der in einem Netz oder an der Angel gezappelt hatte, bevor man ihm die Eingeweide herausriss …
    Â»Mir ist schlecht«, hörte er Sören flüstern, war aber unfähig, etwas Aufmunterndes zurückzuflüstern. Erik hoffte, dass er sicherer wirkte als sein Assistent, der steifbeinig neben ihm herging, hoch aufgerichtet und aufs sichere Vorankommen konzentriert wie alle Betrunkenen, die ihrer Umwelt weismachen wollen, dass sie voll auf der Höhe sind.
    Erik beschloss, Sören so wenig wie möglich zu beachten, um nicht in den Sog seiner Schlagseite zu geraten. Bedächtig strich er sich seinen Schnauzer glatt, wie er es immer tat, wenn ihm etwas bevorstand, was seine ganze Aufmerksamkeit erforderte. Dann fasste er die beiden Männer ins Auge, die neben dem Ticketshop standen und dafür sorgten, dass der Eingang frei blieb, den sonst die Touristen benutzten, wenn sie Kutterfahrten oder Touren zu den Seehundbänken unternehmen wollten. Erik schwankte, als er sich an die Bewältigung der Stufen machte, und tastete nach einem Halt. Rechts von ihm, auf der Terrasse des Hafenrestaurants, saßen viele Leute, die nicht nur den Toten betrachteten, sondern womöglich auch ihn.

    Tanja Möck öffnete die Tür der großen Leichtbauhalle, nachdem sie warnend auf ein rotes Lämpchen gezeigt hatte, das oberhalb des Eingangs angebracht war. »Wenn das brennt, darf die Tür niemals geöffnet werden. Das heißt: Achtung, Aufnahme! Eine Aufnahme zu stören ist so ziemlich das Schlimmste, was passieren kann.«
    Ihre Worte sollten streng klingen, aber ihr Lächeln war derart freundlich und ihre Augen blickten so sanft, dass Mamma Carlotta an ihre Nachdrücklichkeit nicht glauben mochte. Auf keinen Fall würde sie ihre Gutmütigkeit herausfordern, aber sie war überzeugt, dass Tanja Möck für alles Verständnis hatte, notfalls auch dafür, dass ihre Anweisungen missachtet wurden.
    Sie betraten einen Gang, der sich nach links und rechts erstreckte. Gegenüber des Eingangs befand sich eine weitere Tür, über der es auch ein rotes Licht gab, das genauso dunkel war wie das Licht an der Außenseite des Gebäudes.
    Â»Hier gilt das Gleiche«, sagte Tanja Möck, zog ihre Bluse vom Körper, wedelte sich mit dem Stoff Kühlung zu und ließ sie wieder fallen. »Wenn Sie in die Kantine wollen, niemals durch diese Tür, wenn das rote Licht brennt!«
    Â»Capito«, flüsterte Mamma Carlotta ehrfürchtig.
    Tanja Möck zeigte den Flur entlang. »Hier geht’s auch zur Kantine, aber durch die Kulissen ist es kürzer.«
    Sie öffnete die Tür und ließ Mamma Carlotta eintreten. Staunend blieb diese auf der Schwelle stehen und sah sich um. Was für Dimensionen! Für eine einzige Fernsehserie dieser monumentale Aufwand! Keineswegs protzig und erst recht nicht so luxuriös wie das Ergebnis, das über den Bildschirm flimmerte. Nur beeindruckend groß war der Ort, wo diese Bilder entstanden.
    Die Kulissen nahmen den größten Teil der Halle ein. Ein einziger riesiger Raum, in dem sich ein ganzes Fernsehleben abspielte! Viele kleine Nischen, in denen zwei Wohnzimmer, eine Küche, ein Büro, ein Fitnessraum, das Sprechzimmer eines Arztes und eine Polizeistation aufgebaut waren, die später auf dem Bildschirm doppelt oder dreimal so groß wirken würden. Vor diesen Kulissen liefen Schienen von einem Ende der Halle zum anderen, auf denen die Kameras zu der Position fuhren, in der sie gebraucht wurden.
    Mamma Carlotta hatte in den letzten Tagen viele Folgen von »Liebe, Leid und Leidenschaft« gesehen, die Carolin aufgezeichnet hatte, um gut fürs Casting gerüstet zu sein. Sie hatte die attraktiven Menschen bewundert, die stets gut frisiert und mit makellosem Make-up zu sehen waren, egal, in welcher Lebenslage sie sich gerade befanden. Sie hatte die schöne Atmosphäre bestaunt, die Räume mit den kostbaren Möbeln und die teure Kleidung, in der die Akteure eine Heimsuchung nach der anderen bewältigten und dabei nichts von ihrer Attraktivität
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher