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Inselzirkus

Titel: Inselzirkus
Autoren: Gisa Pauly
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Kajüte wäre dazugekommen und noch ein Mann, dessen Namen sie nicht kannte.«
    Mamma Carlotta hielt Erik ihre Tasse hin. »Auf den Schreck brauche ich noch einen Espresso.«
    An dem nippte sie so lange, bis sie ihre Schuldgefühle heruntergeschluckt und ihr Selbstbewusstsein wiederbelebt hatte. Dann endlich konnte sie fragen: »Wisst ihr nun auch, wer Max Triebel erschossen hat?«

    Eine Stunde später trank Mamma Carlotta ihren fünften Espresso und fühlte sich noch immer nicht frisch, angeregt und gut gerüstet für den Tag. Das kurze Glück, als Böses Huhn davongekommen zu sein, war schnell tiefer Erschütterung gewichen, als Erik ihr erzählt hatte, wie Max Triebel den Tod gefunden hatte. Was war nur aus dieser Welt geworden? Konnte man sich auf gar nichts mehr verlassen? Nicht einmal mehr auf anständige Frauen und den Lehrer? Ihre armen Enkel! Sie waren in die Schule aufgebrochen im Vertrauen darauf, dass man es dort gut mit ihnen meinte! Dass sie von Menschen unterrichtet wurden, die das charakterliche Rüstzeug dafür hatten!
    Entschlossen beförderte sie das Geschirr mit lautem Klirren und Poltern in die Spülmaschine. Was Gefahr lief, zu vertrocknen, auseinanderzulaufen oder einen herben optischen Verlust zu erleiden, landete im Kühlschrank, alles andere blieb auf dem Tisch stehen. Sie musste reden! Das Alleinsein würde unerträglich werden, wenn sie zu Hause blieb und sich die Pressekonferenz ansah, die im Regionalprogramm übertragen werden sollte. In Käptens Kajüte gab es ebenfalls einen Fernseher! Zwar wurde er nur für Fußballereignisse angestellt, aber heute musste Tove eben eine Ausnahme machen.
    Zwanzig Minuten später saß sie an seiner Theke und ärgerte sich darüber, dass er nicht von seiner Erleichterung ablassen wollte – ebenso wenig wie sein Stammgast, der über seinem Frühstücks-Jever hockte.
    Â»Besser hätte es für uns nicht laufen können«, sagte Tove immer wieder und war drauf und dran, Mamma Carlotta vor lauter Freude einen Rotwein aus Montepulciano einzugießen.
    Aber sie lehnte empört ab. Nicht nur wegen der frühen Stunde, sondern vor allem, weil es sich nicht gehörte, Freude zu zeigen, wenn Anstand und Moral zusammenbrachen. »Der arme Busso! Die arme Tanja!« Beinahe hätte sie auch noch das Schicksal des armen Harry Jumperz beklagt, aber das kam ihr dann doch nicht über die Lippen.
    Tove fehlte jedes Verständnis für ihre Verzweiflung. »Busso kommt wieder auf die Beine, und die dicke Möck ist selber schuld!«
    Fietje schloss sich unverzüglich seiner Meinung an. »Dass man sie für verrückt hält, ist vielleicht sogar ihr Glück. Dann kommt sie nicht in den Knast, sondern in die Psychiatrie. Da ist es bestimmt gemütlicher.«
    Â»Meinen Sie wirklich?« Mamma Carlotta war für Augenblicke besänftigt. Aber dann fiel ihr ein, dass ihre Welt noch einen weiteren Riss bekommen hatte. »Alina Olsted! Die Lehrerin meiner Enkel! Die Frau, die Felice die Abneigung gegen die Grammatik genommen hat! Die Carolina mit ›Minna von Barnhelm‹ bekannt gemacht hat.«
    Tove runzelte die Stirn. »Minna von Barnhelm? Wohnt die auch hier auf Sylt?«
    Aber Fietje bewies mal wieder, dass er eine bessere Erziehung genossen hatte. »Die stammt von Gotthold Ephraim Lessing«, erklärte er Tove, der dadurch kein bisschen schlauer wurde.
    Mamma Carlotta rang die Hände. Wie sollte sie Tove und Fietje verständlich machen, was Alina Olsted Schreckliches getan hatte? Sie kannte die Vokabel nicht und wollte sie eigentlich auch nicht kennenlernen. In Umbrien sprach man von einer Puttana nur hinter vorgehaltener Hand. Und wenn es sich eben vermeiden ließ, überhaupt nicht!
    Â»Sie war so eine wie die Signora Monegasso«, erklärte sie und hoffte, dass Tove und Fietje sie verstanden, wenn sie ihren Worten einen sehr anzüglichen Blick hinterherschickte. Als das nicht der Fall war, fuhr sie fort: »Die hat sich ein Haus in unserem Dorf gekauft. Niemand wusste, woher sie das viele Geld hatte. Angeblich war sie nie berufstätig gewesen und verheiratet auch nicht.«
    Â»Dann ist sie vermutlich auf den Strich gegangen«, meinte Tove.
    Mamma Carlotta starrte ihn verständnislos an.
    Â»Prostituierte! Nutte! Freudenmädchen!«
    Mamma Carlotta war dankbar, dass sie keins dieser anrüchigen Wörter aussprechen
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