Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Inselzirkus

Titel: Inselzirkus
Autoren: Gisa Pauly
Vom Netzwerk:
ist es auf mich angekommen! Nie!«
    Tanja rang nach Luft. Anscheinend hatte sie ihre Aggressionen niedergeredet, auch ihre körperliche Kraft schien sich zu erschöpfen. In diese kurze Schwäche hinein drang ein winziger Laut. Mamma Carlotta wusste nicht zu sagen, wie er entstanden war. Sie wusste nur, dass er nichts mit dem Wind da draußen zu tun hatte, nichts mit dem Rauschen der Bäume oder dem Autoverkehr auf der Brücke. Unverwandt starrte sie Tanja ins Gesicht, um feststellen zu können, ob auch sie es gehört hatte.
    Tanja wischte sich gerade die Tränen ab, die ihr übers Gesicht gelaufen waren. Dass sie damit das Blut, Bussos Blut, das noch an ihren Fingern klebte, über ihre Wangen rieb, konnte sie nicht sehen.
    Â»Ihr seid alle noch dran«, sagte Tanja. »Bruce Markreiter wird der Nächste sein. Mindestens hundertmal hat er über mich hinweggesehen, jedes einzige Mal werde ich ihm heimzahlen.« Dieser Gedanke schien sie regelrecht zu erheitern. »Es war übrigens ganz einfach, Harry verrecken zu lassen. Es war auch gar nicht schwierig, diesem Penner da draußen das Messer an den Hals zu setzen. Er wollte mir trotzdem nicht sagen, wo das Handy ist, auf dem Harry meinen Namen genannt hat. Allmählich glaube ich sogar, dass das ein riesengroßer Bluff war. Haben Sie was damit zu tun? Hatte Ihr Schwiegersohn diese Idee?«
    Mamma Carlotta schüttelte den Kopf, sie war unfähig zu antworten. Obwohl sie nicht zur Tür sah, bemerkte sie, dass die Klinke sich bewegte. Das gab ihr die Kraft, die Frage zu stellen, die sie ohne diese winzige Hoffnung nicht über die Lippen gebracht hätte. »Wissen Sie, wer Harry in den Schrank gesperrt hat?«
    Wieder begann Tanja zu lachen. Ein schrilles, widerwärtiges Lachen stieß sie aus. »Vier Hühner«, prustete sie los. »Vier große Hühner! Das glaubt mir keiner! Vier Hühner! Dieser Schlappschwanz lässt sich von vier Hühnern die Hose ausziehen und in den Schrank sperren!«
    Ihr Lachen wurde immer schriller. Sie schloss die Augen, während sie lachte, und so konnte Mamma Carlotta zur Tür blicken, die sich vorsichtig öffnete …

    Das Schweigen war tief, aber nicht bedrückend. Es lastete nicht auf ihnen, es verband sie, weil sie die gleichen Gedanken hatten und weil sie sich gut genug kannten, um das Schweigen zu ertragen, was Fremde weit voneinander entfernt hätte. Als die Seestraße in Sicht kam, nahm Erik den Fuß vom Gas. »Bei Ihnen zu Hause ist es sicherlich ziemlich ungemütlich?«
    Sören nickte. »Alles in Kartons verpackt. Nur noch eine Matratze im Wohnzimmer!«
    Erik setzte den Blinker. »Dann lassen Sie uns einen Abstecher ans Meer machen. Anschließend bitten wir meine Schwiegermutter um Rosticciata, und ich hole meinen besten Rotwein aus dem Keller. Dann können wir gemeinsam auf Vetterichs Anruf warten.«
    Sören warf ihm einen warnenden Blick zu. »Es gibt noch nichts zu feiern, Chef! Die Fälle sind nach wie vor nicht gelöst. Solange Markreiter nicht gestehen will …«
    Erik unterbrach ihn. »Wenn Vetterich seine Fingerabdrücke auf der Waffe gefunden hat, ist er dran. Dann bekomme ich morgen einen Haftbefehl, und dann soll die Presse uns meinetwegen auf die Bude rücken.«
    Sören schien diese Aussicht nach wie vor nicht zu behagen. »Man wird uns auch nach dem Fall Harry Jumperz fragen. Und dass Busso Heinemann vor dem Inselzirkus niedergestochen worden ist, wird sich ebenfalls herumsprechen. Haben diese beiden Fälle eigentlich auch nichts miteinander zu tun?«
    Erik stellte den Wagen auf dem Parkplatz ab, der dem Dünenhof zum Kronprinzen gehörte. »Ich habe keine Ahnung«, sagte er, und seine Stimme klang so gleichgültig, als wären ihm diese beiden Fälle im Moment egal. In Wirklichkeit stand hinter seiner scheinbaren Gleichgültigkeit Erschöpfung. Und die überwand er am ehesten, wenn er ans Meer ging. In Sekundenschnelle konnte er dann eins werden mit der Natur. Er betrachtete sie nicht, er wurde Teil von ihr. Erik war davon überzeugt, dass kein Tourist der Natur seiner Insel so nah kommen konnte. Das gelang nur einem Sylter!
    Sie gingen nicht zum Strand hinab, sondern blieben auf der hölzernen Treppe stehen, auf der oberen Kante des Kliffs, hoch über dem Meer. Es wurde niemals unsichtbar, auch in tiefster Dunkelheit nicht. Der Strand zeichnete immer den
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher