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Inselzirkus

Titel: Inselzirkus
Autoren: Gisa Pauly
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dunklen Fenster an, dann schüttelte er den Kopf und wandte sich ab.
    Â»Wir sollten Bruce Markreiter einen Besuch abstatten«, sagte er zu Sören. »Sobald Vetterich die Waffe untersucht hat, gehen wir zu ihm.«
    Sören schien Gefallen an dieser Vorstellung zu finden. »Und wenn er sich schon schlafen gelegt hat, wecken wir ihn.«
    Â»Mal sehen, ob er immer noch die Aussage verweigern und erst seinen Anwalt sprechen will.«

    Aus Tanja Möck war ein anderer Mensch geworden. Der Gleichmut, den alle Gutmütigkeit genannt hatten, war wie weggeblasen, auch die Ruhe in ihrem Blick, diese ständige Freundlichkeit, gab es nicht mehr. Eine Aggression stand nun in ihren Augen, die ihr niemand zugetraut hatte. Sogar einen Teil ihrer Schwerfälligkeit hatte sie eingebüßt. Ihre Bewegungen waren schneller geworden, ihr Körper schien ihr keine Last mehr zu sein.
    Â»Warum?«, fragte Mamma Carlotta, deren Angst sich soeben in ihrer Fassungslosigkeit aufgelöst hatte.
    Â»Warum?«, äffte Tanja sie nach. »Die liebe Tanja! Die nette Tanja! Immer hilfsbereit, immer anspruchslos. Tanja hat’s gut! Die ist dick und hässlich, die kann essen und trinken, was sie will, bei der kommt’s ja nicht drauf an.«
    Sie machte einen Schritt auf Mamma Carlotta zu und hob das Messer. Die wich vorsichtig zurück Richtung Fenster. Obwohl sie keine Idee hatte, wie sie es öffnen sollte, um hinauszuschreien, hoffte sie doch, in der Nähe des Fensters eine größere Chance zu haben, Tanja Möck zu entkommen. Bis es so weit war, musste sie versuchen, Tanjas Aggression zu besänftigen. Eigentlich glaubte sie immer noch daran, dass Tanja ein lieber, netter, ruhiger Mensch war, der wieder zum Vorschein kommen würde, wenn man ihr nur genug Zeit ließ.
    Â»Was hat der Chefautor Ihnen getan?«, fragte sie, nur um eine Frage zu stellen, auf die Tanja antworten konnte, damit sie redete, statt zu handeln.
    Â»Nichts!«, höhnte Tanja. »Gar nichts! Das ist es ja! Da regen sich Heidi, Kristin und Beate darüber auf, dass er sie zu alt, zu faltig und zu dick findet? Immerhin! Er findet was an ihnen! Ich bin nicht zu dick, und ich bin auch nicht zu hässlich. Nein! Wie ich bin, ist total egal. Ich bin ein Nichts. Vollkommen gleichgültig, wie ich aussehe. Ich bin keine Frau, ich bin nur … Tanja Möck.« Sie hielt das Messer so nah vor Mamma Carlottas Augen, dass die zu schielen begann. »Hätte er mir nicht mal vorschlagen können, eine Diät zu machen? Mir einen guten Friseur zu suchen? Mir Botox spritzen zu lassen? Hätte er mir nicht ein einziges Mal die Adresse eines Designers für Übergrößen hinlegen können? Nein! Bei mir war das ja alles vollkommen egal!«
    Mamma Carlotta fühlte sich besser, als sie die Fensterbank spürte. Ein Halt! Ein Kontakt zu der Welt da draußen, wo es Hilfe geben konnte!
    Â»Wenn ich das Genörgel schon höre! ›Harry will, dass ich höchstens Größe sechsunddreißig trage! Harry will mich faltenfrei! Harry findet mich zu alt!‹«
    Endlich ließ Tanja das Messer sinken. Ihre Angriffslust schien vorbei zu sein, das Selbstmitleid beschäftigte sie nun ganz und gar. Mamma Carlotta war froh darüber, obwohl sich ein Vorteil dieser Wandlung keineswegs abzeichnete. Es blieb dabei, dass sie in Tanjas Gewalt war, die verhindern würde, dass sie um Hilfe schrie.
    Â»Dass sie mit ihm ins Bett gegangen sind, hat ihnen zwar nichts eingebracht – aber immerhin! Harry wollte mit ihnen in die Kiste! Wenn er mich ansah, hat er an alles Mögliche gedacht, aber bestimmt nicht an Sex! An Liebe und Leidenschaft dachte er sowieso zuletzt, wenn er mit einer Frau ins Bett ging. Er hat Frauen mit Sex von sich abhängig gemacht, gedemütigt, gezwungen oder was versprochen, was er nicht halten wollte. Aber ich …« Nun hob Tanja wieder das Messer. »Ich war es nicht mal wert, gedemütigt zu werden! Mir konnte er sogar seine Schwächen gestehen. Niemand sonst durfte wissen, dass er herzkrank war. Niemand durfte etwas von seiner schweren Klaustrophobie erfahren. Nur Tanja! Auf die kam es ja nicht an. Vor der musste man nicht den großen, starken Chefautor rauskehren. Vor Tanja durfte man klein und mickrig sein.« Nun verzog sich ihr Gesicht zu einer Fratze, die Mamma Carlotta eine Gänsehaut über den Rücken jagte. »Weil es auf Tanja nicht ankam! Nie
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