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Inselzauber

Inselzauber

Titel: Inselzauber
Autoren: Gabriella Engelmann
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wahrlich Ruhe gebrauchen, denke ich, während der Zug auf dem Bahnsteig einfährt und ich Bea und Veronika winken sehe.
    Ein Bild wie Pat und Patachon: Bea ist groß und hager und trägt ihre grauen Haare kurz. Veronika hingegen ist klein, leicht untersetzt und hat ihre silberblonden Haare zu einem Dutt hochgesteckt.
    Dass es so eine Frisur überhaupt noch gibt, überlege ich schmunzelnd, während ich meine Koffer aus der Tür ins Freie wuchte. Ein älterer Herr ist mir freundlicherweise behilflich und wechselt dabei kurz einen Blick mit Bea, während Veronika eine rote Rose schwenkt. Ja, meine Tante hat schon immer eine große Wirkung auf Männer gehabt, obwohl sie auf den ersten Blick kein femininer Typ ist und auch im Alter noch viel Unabhängigkeit ausstrahlt. Viel zu viel für den Geschmack der meisten Herren.
    Veronika hingegen ist ein absolutes Weibchen, eine Herzensgute, im Gegensatz zu Bea, die zunächst erst einmal skeptisch in die Welt schaut. Wenn ich meine Tante so sehe, mit ihrer schwarzen Lederjacke, die langen Beine in eine Cargohose gehüllt, wundere ich mich wieder einmal, wie es eine solche Frau überhaupt auf diese Insel verschlagen konnte, noch dazu an der Seite eines Seemanns, der auf den ersten Blick so gar nichts mit ihr gemeinsam hat.
    »Moin, min Deern«, unterbricht Veronika meine Gedanken und zieht mich an ihre Brust, während die Rose die ersten Blätter verliert.
    »Vero, schön, dich zu sehen!«, rufe ich und drücke ihr links und rechts herzhafte Küsse auf ihre mittlerweile leicht erschlafften Wangen, die sich zart und weich anfühlen. »Hattest du denn eine gute Reise, Kind?«, fragt Veronika und schnappt sich sofort den schwersten meiner Koffer. Sie ist es gewohnt, zuzupacken, so kennt sie es von dem Hof, auf dem sie lebt.
    »Lissy«, meldet sich nun endlich auch Bea zu Wort, die ihrer Freundin energisch den Koffer aus der Hand nimmt und ihn auf einen Gepäckwagen wuchtet.
    Rasch werfe ich die restlichen Sachen hinterher und stürze mich in die Arme meiner Tante. Auch wenn sie rein physisch so gar nichts Kuscheliges an sich hat, fühle ich mich dennoch in ihrer Nähe so geborgen wie bei sonst niemandem auf der Welt. Selbst bei Stefan habe ich nicht so viel Wärme und Behaglichkeit empfunden. Ihr Parfüm – sie trägt seit ich sie kenne dasselbe – umhüllt mich wie ein Seidentuch, und ich fühle mich sofort zu Hause. Zu Hause bei ihr und auf dieser Insel, die zwar lange meine Heimat war, die ich aber in den letzten Jahren fast komplett aus den Augen verloren habe.
    »Gut siehst du aus«, plappert Veronika drauflos, während wir gemeinsam zum Parkplatz laufen.
    Bea und ich gehen Arm in Arm und lösen uns erst voneinander, als meine Tante hinter dem Steuer Platz nimmt, um ihren Wagen – einen alten, wackeligen Jeep – zu starten. Ich öffne die hintere Tür und werde in Sekundenschnelle von Timo abgeschlabbert. Beas Berner Sennhund erkennt mich auch nach so langer Zeit wieder und ist offensichtlich begeistert, mich zu sehen.
    »Hallo, Süßer«, begrüße ich ihn, streichle ihm über den Kopf und stecke meine Nase in seinen Hundepelz.

    Während der Fahrt nach Keitum betrachte ich schweigend die Landschaft und lausche den Worten der beiden Freundinnen, die vorne im Wagen plaudern. Genauer gesagt plaudert vor allem Veronika. Bea hört ihr aufmerksam zu und wirft ab und zu einen Blick in den Rückspiegel, um mit mir Blickkontakt aufzunehmen. Nachdem wir die hässlichen Neubauten Westerlands hinter uns gelassen haben, fahren wir an Tinnum vorbei Richtung Keitum.
    Wie jedes Mal, wenn ich auf der Insel bin, amüsiere ich mich über die Namen, die, wie es scheint, allesamt auf »um« enden. Natürlich ist das nicht wirklich so, denn Westerland, Kampen, List, Wenningstedt oder Braderup machen ja die andere Hälfte der Orte aus, aber ich werde das Gefühl nicht los, dass das wahre Sylt in den Dörfern stattfindet, die auf »um« enden.
    Schon allein diese Silbe klingt irgendwie kuscheliger als das ruppige »rup« von Braderup oder als das scheinbar listige »List«. Morsum, Archsum, Hörnum, Keitum, Rantum – das sind die Orte, die ich mag, zu denen ich mich hingezogen fühle.
    Während wir uns Keitum nähern, sehe ich Pferde, Kühe und Schafe auf den Weiden, beschienen von der kalten Dezembersonne, die alles in klares, gleißendes Licht taucht und die Konturen schärft.
    Dann – ganz allmählich – vollzieht sich eine Wandlung: Die Weiden werden weniger, die freien Flächen
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