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Inselzauber

Inselzauber

Titel: Inselzauber
Autoren: Gabriella Engelmann
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löffle.
    »Aber du bildest dich doch ständig weiter«, protestiere ich und trinke einen Schluck Wein. »Du liest andauernd. Und wenn du nicht liest, bist du in deinem Literaturzirkel oder siehst dir irgendwelche Dokumentationen oder Theaterstücke auf ARTE oder 3sat an. Du fährst nach Hamburg zu Konzerten, du besuchst Vorträge. Wo ist denn da auch nur die kleinste Gefahr einzurosten?«
    »Das ist sicher alles richtig. Aber wenn du genau hinsiehst, dann merkst du, dass alles, was du gerade geschildert hast, keine echte Herausforderung für mich ist. Weil es mir leichtfällt. Weil ich zeit meines Lebens nichts anderes getan habe. Ich muss mich nicht anstrengen, um bestimmte Dinge zu verstehen. Ich muss mich nicht dazu aufraffen, nach Hamburg zu fahren, um in die Oper zu gehen. Und Vorträge könnte ich manchmal sogar selbst halten. Aber die einfachen Dinge des Lebens zu regeln, gut zu sich selbst zu sein, zu fühlen und nicht nur mit dem Kopf zu arbeiten, fällt mir oft schwer. Genau das möchte ich nun auf meine alten Tage ändern!«
    Bei »alten Tage« zucke ich unwillkürlich zusammen, denn für mich ist Bea mit ihren fast sechzig Jahren zwar älter, aber dennoch irgendwie zeitlos. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es sie womöglich eines Tages nicht mehr geben sollte. So wie meine Eltern. An dieser Stelle bildet sich ein dicker Kloß in meinem Hals.
    »Und weil Vero dir das Kochen beigebracht hat, was ihr übrigens ausgezeichnet gelungen ist, lernt sie nun im Gegenzug die weite Welt kennen? Auch wenn bereits eine Fahrt nach Kiel für sie eine ähnliche Herausforderung darstellt wie für mich die Aussicht, den Himalaja zu besteigen. Wie hast du es nur geschafft, sie zu dieser Reise zu überreden?«, hake ich nach. Dabei bemühe ich mich, den Gedanken zu verdrängen, Bea könnte eines Tages nicht mehr für mich da sein.
    »Tja«, erwidert meine Tante lächelnd und schenkt uns Wein nach. »Darauf, dass mir das gelungen ist, bin ich in der Tat stolz. Ehrlich gesagt, werde ich es aber selbst erst glauben, wenn es tatsächlich so weit ist. Noch fühlt Vero sich in Morsum sicher, und am Kachelofen lässt es sich gut träumen. Aber sie ist wie ich der Meinung, dass wir im letzten Drittel unseres Lebens noch ein bisschen was ausprobieren müssen. Jetzt hoffe ich einfach mal, dass es in ihrem Fall gut geht. Wenn nicht, kommen wir eben wieder zurück. Es ist ja nicht so, dass wir auf einer einsamen Insel stranden werden, von der wir nicht mehr wegkönnen. Es gibt von überall Flüge zurück – das ist auch das Sicherheitsnetz, mit dem ich Vero locken konnte. Außerdem sind wir nicht als Backpacker unterwegs, die morgens nicht wissen, wo sie abends schlafen werden. So eine Kreuzfahrt ist immerhin bestens durchorganisiert, und bei dieser Art zu reisen kann nicht allzu viel passieren.«
    »Aber wärst du nicht furchtbar enttäuscht, wenn ihr trotzdem nach zwei oder drei Wochen schon wieder umkehren müsstet? Was, wenn Vero auf dem Schiff die Krise bekommt oder wenn ihr die Ausflugsziele an Land zu exotisch sind?«, frage ich skeptisch nach. Gleichzeitig genieße ich die Lammkeule mit provenzalischem Gemüse, das so aromatisch ist, als käme es direkt aus dem Himmel.
    »Nein, ich glaube nicht«, antwortet Bea. »Ich würde es akzeptieren müssen. Ich kenne Vero nun schon sehr lange und mache mir keine Illusionen darüber, wie sie gestrickt ist. Das Risiko, dass ihr die Reise womöglich nicht gefällt und sie Heimweh nach Morsum und ihrer Familie hat, muss ich eingehen. Ich wäre keine gute Freundin, wenn ich das nicht verstehen könnte. Ich hätte ja auch die Möglichkeit, alleine zu reisen oder mit meiner Freundin Iris, der Reisejournalistin aus Hamburg. Aber ich möchte dieses Wagnis nun mal mit Vero eingehen. Wenn das Experiment scheitert, sind wir beide um eine Erfahrung reicher, wissen aber dennoch zu jeder Zeit, was wir aneinander haben.«
    Beeindruckt von ihren Worten, kaue ich weiter und betrachte meine Tante. Wie toll sie immer noch aussieht, wie vital, wie klug. Wie gerne wäre ich ein wenig wie sie. So gelassen, in mir ruhend, so voller Vertrauen in mich und das Leben. Wie wird man nur so?
    »Willst du mir vielleicht kurz erzählen, was da mit dir und Stefan passiert ist?«, fragt Bea und reißt mich aus meinen Gedanken.
    Lust habe ich eigentlich keine, aber natürlich bin ich es meiner Tante schuldig, die ganze Geschichte zu berichten, immerhin hat sie sich lange genug in Zurückhaltung geübt. Vielleicht ist
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