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Inselzauber

Inselzauber

Titel: Inselzauber
Autoren: Gabriella Engelmann
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»Lissy wird mich in der Bücherkoje vertreten, wenn ich mit Vero auf Reisen gehe«, erklärt sie, und ich bemerke, wie Leons Blick interessiert an mir auf und ab wandert.
    Unwillkürlich nestle ich an meinen Haaren und wippe mit den Füßen, wie immer, wenn ich nervös bin. Hoffentlich sieht mein Gesicht von der ganzen Heulerei nicht mehr allzu verquollen aus, denke ich und frage mich gleichzeitig, weshalb es mir überhaupt wichtig ist, was dieser Mann von mir denkt.
    »Was ist das denn für ein Titel?«, erkundige ich mich mit einem Blick auf das Buch, das Leon in der Hand hält. Als Buchhändlerin in spe kann ich ruhig gleich heute damit beginnen, mich in die Materie einzuarbeiten.
    »Pu der Bär«,
antwortet Leon, offensichtlich ebenfalls leicht verlegen.
    Ich schmunzle. »Mein Lieblingskinderbuch«, sage ich, nehme ihm das Exemplar aus den Händen und betrachte gerührt die liebevollen, hauchzarten Illustrationen von E. H. Shepard.
    Auf dem Cover lehnen Pu (der tapsige und verfressene Bär aus dem Hundertmorgenwald, der nichts anderes als Honig im Kopf hat), sein Freund Ferkel (ein junges Schwein, wie der Name schon sagt) und Christopher Robin (der einzige menschliche Protagonist der Geschichte) an einem Brückengeländer und starren völlig versunken in den Bach, der ihnen zu Füßen liegt und gemütlich vor sich hin plätschert. Als ich den Innenteil aufschlage, sehe ich mit krakeliger Kinderschrift geschrieben die Worte:

    Dieses Buch gehört Lissy Wagner. Wer so gemein ist, es auszuleihen und nicht zurückzubringen, ist es nicht wert, mein Freund zu sein!

    Tatsächlich, dieser Leon hat sich mein persönliches Exemplar von Bea ausgeliehen.
    »Lassen Sie mich raten. Sie arbeiten gerade an einem hochbrisanten Beitrag über die Psychologie des Zusammenlebens von Bären, Ferkeln und Eseln in der Enge des Hundertmorgenwalds«, necke ich den Journalisten.
    Der lächelt mich daraufhin erfreut an. »Ich sehe schon, Sie sind noch immer eine Pu-Expertin«, antwortet er, rückt seine Brille gerade und mustert mich ernst. »Wenn das so ist, können Sie sich doch sicher auch noch erinnern, wie Pu hieß, bevor er beschloss, Winnie der Pu zu sein?«, fragt er und nimmt nun ebenfalls am Tisch Platz.
    Bea hat inzwischen einen weiteren Teller, Besteck sowie ein Glas geholt. Das bedeutet wohl, dass wir den Rest des Abends mit diesem Leon verbringen werden.
    Mist, wie war das noch?, grüble ich und versuche mich zu entsinnen, was meine Tante mir immer vorgelesen hat.
Pu der Bär
war nämlich eines der ersten Bücher, die bei unserem allabendlichen Vorleseritual fester Bestandteil meiner kindlichen Traumwelt wurden. Manchmal glaubte ich eine Art weiblicher Christopher Robin zu sein, dessen Freunde allesamt Tiere waren, die ich gern mochte. Ich konnte Stunden damit verbringen, mir Geschichten auszudenken, in denen Elefanten, Giraffen, Zwergkaninchen oder Rehkitze eine tragende Rolle spielten. Auch wenn ich mit zehn Jahren schon fast zu alt für solche Phantastereien war.
    »Wenn Sie es nicht wissen, halb so schlimm«, erlöst Leon mich aus meiner Grübelei. »Das Wichtigste ist doch, dass ich Ihnen das Buch zurückgebracht habe. Denn ich möchte keinesfalls riskieren, dass Sie böse auf mich sind!«
    »Kinder, wollt ihr euch nicht duzen?«, mischt sich nun Bea in unser Gespräch ein und hebt energisch ihr Weinglas. »Ich finde, wir sollten darauf anstoßen, dass ich endlich meine Weltreise antreten kann, dass Lissy hier ist und hoffentlich die Zeit auf Sylt genießen wird und dass du, Leon, den Job als stellvertretender Chefredakteur bekommen hast. Auf eine tolle Zukunft!«, sagt meine Tante und prostet uns zu. Irre ich mich, oder zwinkert sie mir hinter dem funkelnden Rotwein verschwörerisch zu?
    Nachdem Leon und ich auf Du und Du getrunken und wir uns gegenseitig verschämt ein Küsschen auf die Wangen gehaucht haben, sind wir auch schon verstrickt in ein Gespräch, das sich um Reisen, Zukunftspläne und Bücher rankt. Doch sosehr ich mich auch amüsiere und mich an dem verbalen Schlagabtausch über Bücher erfreue, den Bea und Leon sich gelegentlich liefern, kann ich nicht umhin, ab und zu an Stefan zu denken.
    Ich war zwar nicht oft mit ihm hier und will auch nicht behaupten, dass meine Tante und er ein Herz und eine Seele gewesen wären, dennoch gab es Momente, an die ich mich gern erinnere.
    Zum Beispiel unser erster Aufenthalt hier, als ich Stefan »mein Sylt« jenseits der bekannten und touristisch frequentierten Ecken
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