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Inselzauber

Inselzauber

Titel: Inselzauber
Autoren: Gabriella Engelmann
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Raum. Fröstelnd ziehe ich mir die Decke um die Schultern und überlege, ob ich nach unten gehen soll. Timo ist nicht mehr da, sicher war es ihm zu langweilig, mir beim Schlafen zuzusehen. Während ich noch auf dem Rücken liege und an die dunkle Decke starre, höre ich auf einmal die Treppe knarren und schnuppere den Duft von Beas Parfüm, der ihr stets vorauseilt.
    »Lissy, Schätzchen. Hast du Hunger? Magst du mit nach unten kommen?«, fragt meine Tante und lugt vorsichtig durch den Türspalt.
    So viel kann ich trotz der Dunkelheit erkennen.
    »Komme gleich«, antworte ich und krabble aus dem Bett, während Bea schon wieder auf dem Weg nach unten ist.
    Kindheitserinnerungen werden wach, genau so habe ich mich als Zehnjährige gefühlt, als sie mich bei sich aufgenommen hat. Ein wenig ermattet vom Nachmittagsschlaf, begebe ich mich ins Badezimmer, um mir Hände und Gesicht zu waschen. Ein Blick in den Spiegel sagt mir, dass man mir meinen Kummer ansieht.
    Ich bin blass, trage einen enttäuschten Zug um den Mund und habe nur wenig mit der attraktiven Endzwanzigerin gemeinsam, die noch bis vor kurzem mit ihren braunen Augen neugierig und zuversichtlich in die Welt sah. Verärgert bemerke ich, dass meine Haare sich im Schlaf verknotet haben, und flechte sie zu einem Zopf. Stefan hat meine langen nussbraunen Locken immer geliebt und sie mir oft gekämmt, eine zärtliche Geste, die ich vermissen werde. In Zukunft werde ich mich wohl selbst kämmen müssen.
    Aus der Küche zieht Essensduft zu mir hoch, und ich merke, dass ich Hunger habe. Was es wohl gibt?, frage ich mich, während ich ein paar dicke Socken anziehe und eine Jacke aus dem Koffer hole. Ich bin gespannt, denn Bea ist, das muss man einfach so klar sagen, eine absolute Niete als Köchin. Sie isst nicht besonders gern – ganz im Gegensatz zu mir – und betrachtet Küchenarbeit ausschließlich als lästig und unnütz. Sie verbringt ihre Zeit lieber mit Büchern oder macht mit Timo lange Spaziergänge am Meer.
    Als Kind wäre ich vermutlich verhungert oder elendiglich an Skorbut zugrunde gegangen, wäre da nicht Vero gewesen, bei der ich entweder zum Essen Dauergast war oder die uns mit Selbstgekochtem versorgt hatte, das Bea nur noch aufzuwärmen brauchte. Doch selbst das Aufwärmen konnte bei meiner Tante zum Abenteuer geraten, insbesondere wenn sie – etwa völlig versunken in ein Buch – alles um sich herum vergaß und es noch nicht einmal bemerkte, wenn dichte Rauchschwaden durch die Küche zogen.
    Ich persönlich neige ja zu der Ansicht, dass Knut deswegen so gern lange auf See war, weil er dort vor seiner Frau und ihren zweifelhaften Kochkünsten fliehen konnte.
    Beim Gedanken an meinen Onkel muss ich seufzen. Sein Tod ist nun auch schon fünf Jahre her. Ob Bea wohl noch immer um ihn trauert?

    »Hmm, das duftet ja lecker«, sage ich, eher, um mir selbst Mut zuzusprechen, als zu Bea, und luge vorsichtig in Richtung Herd.
    Doch dort scheint ausnahmsweise alles im grünen Bereich zu sein – merkwürdig! Eine dicke, sämig aussehende Krabbensuppe blubbert gemütlich vor sich hin, und im Ofen schmort eine Lammkeule. Der Tisch ist hübsch gedeckt, Rotwein schimmert in einer Karaffe, und als musikalische Untermalung laufen Vivaldis »Vier Jahreszeiten«. Idylle pur.
    »Bea, was ist passiert?«, frage ich überrascht, als meine Tante, in eine Küchenschürze gewandet (allmählich mache ich mir ernsthaft Sorgen!), im Türrahmen auftaucht.
    Bewaffnet mit einem Paar Topflappen, die ich als Kind gehäkelt und ihr zu Weihnachten geschenkt habe, nimmt sie den Schmortopf aus dem Ofen.
    »Da staunst du, was?«, sagt Bea lachend, stellt den Bräter auf den Herd und füllt die Krabbensuppe in Schüsseln.
    Während ich die heiße Suppe genieße und sich eine wohlige Wärme in meinem Körper ausbreitet, erzählt meine Tante begeistert, dass Veronika sie zu einem Kochkurs überredet hat. »›So kann es nicht weitergehen‹, hat Vero zu mir gesagt, und irgendwann fand ich, dass sie recht hat. Es ist zwar viel einfacher, sich immerfort darauf zu berufen, dass man für etwas zu untalentiert ist, als sich mal daranzumachen und sich selbst das Gegenteil zu beweisen. Aber was hat das Leben für einen Sinn, wenn man sich nicht weiterentwickelt? Man muss doch immer mal wieder etwas dazulernen, damit man nicht komplett einrostet und verblödet, oder wie siehst du das?«, fragt sie mich mit einem Hauch von Provokation im Blick, während ich beeindruckt meine Suppe
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