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Inselzauber

Inselzauber

Titel: Inselzauber
Autoren: Gabriella Engelmann
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es auch ganz gut, wenn ich mal mit jemandem über die Trennung spreche, denn bislang habe ich alles mit mir selbst ausgemacht.

    Dann sprudelt es aus mir hervor, als hätte jemand einen Wasserhahn aufgedreht. Es ist ungemein befreiend, endlich alles aussprechen zu können, was mir seit Wochen auf der Seele lastet. Ich schildere ihr, wie ich an unserem fünften Jahrestag eine SMS entdeckte, aus der ziemlich eindeutig hervorging, dass Stefan eine Affäre hat. Weiter berichte ich, dass ich eine Zeitlang versucht war, diese Tatsache zu ignorieren, und wie sehr ich darunter litt, dass Stefan sich immer mehr von mir distanzierte, fast nur noch auf dem Golfplatz oder angeblich mit Freunden unterwegs war. Zuletzt führten wir nicht einmal mehr richtige Gespräche, weshalb ich ihn eines Tages zur Rede stellte, weil dieser Zustand nicht mehr auszuhalten war. Zumindest nicht für mich.
    Ich habe immer schon mehr vom Leben erwartet.
    Totale gegenseitige Hingabe und Liebe, die bis ans Lebensende dauert.
    So wie bei meinen Eltern.
    Da brach Stefan endlich sein Schweigen und beichtete mir alles. Dass diese Melanie die Frau seines Lebens sei, dass er noch nie zuvor für eine Frau so empfunden habe, und zu guter Letzt auch noch, dass sie ein Kind von ihm erwarte. Während ich mir anhörte, was er zu sagen hatte, war ich eigentümlich ruhig und irgendwie gar nicht verwundert. Im Grunde wusste ich, dass wir uns unwiederbringlich voneinander entfernt hatten. Aus den einst verschlungenen Pfaden waren auf einmal parallel laufende Schienen geworden, die einander niemals mehr treffen konnten.
    Trotz dieser Erkenntnis tat das, was Stefan sagte, mir weh. Sehr weh sogar. Er selbst wirkte indes erleichtert, endlich nicht mehr lügen zu müssen, denn im Grunde seines Herzens ist er ein ehrlicher Mensch.
    Nachdem er gesagt hatte, was er sagen musste, ging er »spazieren, um noch ein wenig frische Luft zu schnappen«, dabei wussten wir beide, dass es ihn zu Melanie zog. Er wollte so schnell wie möglich bei der Frau seines Herzens sein. Bei der zukünftigen Mutter seines Kindes.
    Sobald die Tür hinter ihm ins Schloss gefallen war, rollte ich mich auf dem Sofa zusammen, auf dem ich gesessen hatte, als meine Welt zum zweiten Mal nach dem Tod meiner Eltern zerbrach, und wartete auf die Tränen, die jedoch nicht kamen.
    Sie kamen weder am nächsten Tag noch an den folgenden. Im Hotel funktionierte ich wie ein Roboter, wies meine Vertretung ein, die von einer Zeitarbeitsfirma kam und für drei Monate einsprang, und organisierte nebenbei den Haushalt, wie ich es immer getan hatte. Stefan schlief ab sofort auf dem Sofa, und ich fühlte mich unendlich einsam und schrecklich allein in diesem großen Doppelbett.
    Schließlich kam der Tag meiner Abreise nach Sylt, und Stefan war noch so nett, mich zum Bahnhof zu fahren. Wir verabschiedeten uns förmlich, ich stieg in den Zug und blickte nicht zurück. Vermutlich hätte ich sowieso nichts anderes gesehen als den Rücken von Stefan, der es eilig hatte, wieder zu Melanie zu kommen.

    »Und wie geht es dir jetzt damit?«, fragt Bea mitfühlend und streichelt mir die Hand.
    Ich komme jedoch gar nicht dazu, ihr zu antworten, weil die Türglocke läutet. »Erwartest du jemanden?«, frage ich und bin ein wenig enttäuscht, nicht weiter mit meiner Tante allein sein zu können.
    »Eigentlich nicht«, antwortet sie und geht an die Eingangstür, um zu öffnen.
    »Ach, du bist’s«, höre ich Bea sagen. Ein paar Sekunden später steht sie zusammen mit einem jungen Mann im Raum, dem die Störung sichtlich unangenehm ist, als er merkt, dass wir gerade beim Essen sind.
    »Ich wollte nur schnell das Buch zurückbringen«, sagt der Unbekannte und streckt mir freundlich die Hand zum Gruß entgegen. »Hallo, ich bin Leon«, stellt er sich vor.
    »Lissy Wagner«, antworte ich und mir fällt auf, dass sich seine Hand angenehm warm und fest anfühlt.
    »Leon ist Journalist und arbeitet für den
Sylter Tagesspiegel
«, erklärt Bea, während wir beide uns eingehend mustern.
    Der Besucher ist etwas älter als ich, groß, schlank, dunkelhaarig und macht einen sehr sympathischen Eindruck. Seine langen Beine stecken in verwaschenen Jeans, unter seinem Parka trägt er einen anthrazitfarbenen Rollkragenpulli. Die dichten Haare hat er lässig nach hinten gestrichen, und die zarte Nickelbrille verleiht seinem eher jungenhaften Gesicht einen gewissen intellektuellen Touch.
    »Das ist meine Nichte, Larissa Wagner«, fährt Bea fort.
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