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Inselwaechter

Inselwaechter

Titel: Inselwaechter
Autoren: Jakob M. Soedher
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also nicht vorgehabt haben einen längeren Spaziergang zu machen, ohne Handtasche und nur mit diesem leichten Mantel über dem Kostüm. Die Nächte waren noch frisch hier am Wasser, solange der Sommer noch jung war. Der Notarzt wollte keine Aussage zu einem möglichen Todeszeitpunkt treffen. Sicher war nur, dass die Tote nicht seit dem vergangenen Abend hier lehnte. Schielin tippte auf die Zeit um den Sonnenaufgang.
    Ihre linke Hand lag verkrümmt unter der Last des Körpers. Es war ein statisches Wunder, wie sie so über die Brüstung gelehnt, von einer Säule gestützt hing. Sie hatte lange, trotzdem weich erscheinende Finger und er konnte weder Abschürfungen noch Hämatome daran erkennen. Soweit zu erkennen, wies das Gesicht keinerlei Verletzungen auf. Die Haare waren nicht durcheinander und die Kleidung nicht zerrissen. Auch gab es keine anderen Hinweise, die auf eine Auseinandersetzung hindeuteten. Hier hatte es keine Auseinandersetzung, keinen Kampf gegeben. Jemand hatte hinter der Frau gestanden und heftig zugestoßen. Der gestraffte Stoff am Rücken zeigte keinen weiteren Riss. Wer immer es getan hatte – er war schnell und brutal vorgegangen.
    Auf dem Boden unterhalb des kleinen Balkons des Clubhauses erblickte er den Bund mit Wildblumen, die helle und bläuliche Blüten hatten. Er sah frisch aus und konnte nicht schon seit gestern hier liegen. Ein geflochtenes Bastnetz fasste die Stiele. Es wirkte einerseits kunstfertig und einfach zugleich. Der größte Teil der Blüten und Blätter war zertreten. Auf dem Boden waren grüne und bläuliche Abriebspuren zu sehen. Schielin musste seine Empfindungen unter Kontrolle bringen und lenkte den Blick hinüber nach Bregenz. Es war auch zu grotesk. An der Brüstung hinter ihm lehnte eine tote Frau, der ein Messer im Rücken steckte, rundherum wogte in gleichgültiger Ruhe der See, und am Boden vor ihm lag dieser eigenwillige Strauß aus Wildblumen oder Kräutern – keine Tulpen oder Rosen, wie man es vermuten könnte.
    Er atmete durch und legte einen Fahrplan für die dringendsten Maßnahmen fest. Zuerst natürlich die Spurensicherung, die von Wenzel und Lydia übernommen werden würde. Die Kollegen von der Wasserschutzpolizei waren bereits zur Stelle. Sie lagen mit ihrem Boot drüben vor dem Römerbad und konnten so den Tatort von der Wasserseite her filmen und fotografieren. Taucher mussten kommen, um beidseits der Mole den Grund abzusuchen. Schließlich waren noch die Boote zu überprüfen, die im Hafen lagen. Die an der Südmole zuerst. Der Hafenmeister fiel ihm ein. Auch eine Quelle für Informationen. Die Strecke vom neuen Clubhaus bis hinaus zum Ende der Südmole hatte er schon einige Male zurückgelegt. Den Blick immer auf einen bestimmten Bereich konzentriert. Nichts war ihm aufgefallen. Jetzt, auf halber Strecke dem Festland zu, fiel ihm eine Segeljacht auf. Sie hatte den Namen Obadja – Obadja, der Diener oder Knecht Gottes, war einer der kleinen Propheten. Wie hießen die noch mal? Obadja, Jona, Micha, Nahum, Habakuk, Zefania …
    An was man sich nicht alles erinnerte. Und das in den unmöglichsten Situationen. Jedenfalls ein außergewöhnlicher Name für ein Boot und mal was anderes als Lady Blabla oder Blue Sky. Mit Namen war es wie mit Tätowierungen – man sollte vor einer Entscheidung eingehend prüfen.
    Schielin ging bis zur Terrasse des neuen Clubhauses und setzte sich zu Walter Zenger, den er flüchtig kannte. So, wie man sich in Reutin eben kannte, weil man einander begegnen musste, im Kinderfestausschuss, im alten Rathaus, bei St. Josef oder St. Verena. Es gab kein Möglichkeit einander zu entgehen.
    Zunächst stellte Schielin keine Fragen. Er wartete eine Weile, schloss ebenfalls die Augen und spürte der Wärme der Sonne nach. In einigen Stunden würde man in den Schatten flüchten. Walter Zenger begann nach einer Weile von sich aus von dem zu erzählen, was ihm an diesem Morgen widerfahren war.
    In ihrem Rücken begann derweil die Stadt zu erwachen. Auf den Terrassen der Seepromenade im Hafen wurden Tische, Stühle und Bänke hergerichtet. Das Gebrumm von Lieferfahrzeugen dröhnte herüber und das ruhige Blubbern der Schiffsmotoren aus dem Hafenbecken schwoll zu einem kräftigen Wummern an. Die Vorbereitungen für einen unbeschwerten Sommertag am Bodensee gingen unbeeindruckt der Ereignisse im Segelhafen ihren gewohnten Gang. Auf den Bänken entlang des Hafenbeckens saßen frühe Spaziergänger.
    Lydia Naber schwitzte unter dem Overall,
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