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Inselwaechter

Inselwaechter

Titel: Inselwaechter
Autoren: Jakob M. Soedher
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als Wasser, bevor hinten die Appenzeller Hügel und darüber Säntis und Altmann einem die Heimat zeigten. Deren Felsen lagen noch grau und dumpf. Er atmete heftig, tauchte die Hände ins Wasser, das sanft und wohltuend frisch war. Mit kräftigen Paddelschlägen entfernte er sich aus dem heimeligen Fleck und querte die Wasserfläche weit hinaus, bevor er nach Süden wendete und direkt auf den magischsten Ort der Insel zuhielt – jene Stelle, an der sich der Pulverturm weit in den See vorschob. Er zog die Manschette fester, mit der er das Paddel an der linken Hand befestigt hatte. Die linke Hand besaß noch nicht genügend Gefühl und ausreichend Kraft, um es halten zu können.
    Er hatte großes Glück gehabt, dass man ihn so schnell gefunden hatte, wiederholte er stumm für sich, wie ein Mantra, und nickte dazu.
    Mit dem Reden war es auch noch schwierig. Aber er traute sich schon wieder alleine hinaus auf den See und fühlte sich sicher und wohl dabei. Seine Frau war zu Hause und bangte. Das wusste er. Aber er brauchte den Kontakt zum Wasser, er musste es fühlen, er musste es bearbeiten, mit dem Paddel. Er wollte die Berge sehen und die Insel, den Pulverturm und alle anderen Türme. Jetzt endlich war er auf dieser Welt, jetzt meldeten die Zellen, die noch funktionierten, wie es sich anfühlte, die Hand durchs Wasser gleiten zu lassen, wie gut eine Mahlzeit schmecken konnte, Bier und Wein. Wie weich und schön das Fell der Katze war, das er nun so oft streichelte wie es möglich war. Jetzt war er lebendig.
    Er wollte alleine unterwegs sein. Selbst in Begleitung von Freunden wäre er das Gefühl nicht losgeworden, beobachtet und betreut zu sein. Außerdem steckte er sich weit draußen auf dem Wasser, wo es niemand hören konnte, den Korken in den Mund und übte zu sprechen, so wie es die Therapeutin von ihm verlangte. Im Schutz der Geräusche des Sees war es ihm nicht arg, sich selbst zu hören.
    Er paddelte entlang des langen Stücks zwischen Pulverturm, Karlsbastion und Pumpstation. In der Bodenseeklinik war schon in einigen Fenstern Licht auszumachen. Als er kurz hinter der Pumpstation nach Nordost bog, um die Hafeneinfahrt zu passieren, zählte er die Türme und Türmchen, Dachreiter, Fahnenstangen und Giebelspitzen, die sich wie in einer alten mechanischen Kulisse seiner Geschwindigkeit gemäß verschoben. Leuchtturm, Mangturm, Stephanskirche, Münster – Schweigen kam von den vertrauten, alten Mauern.
    Vor dem Römerbad hielt er inne, wendete das Kajak nach Süden und wartete. Sein Blick ging vom Pfänder über das Rheintal bis zum Säntis. Er atmete still und blickte über das Wasser. War das eine Form von Dankbarkeit? Überhaupt zu sehen, was einen umgab?
    Vom Münster kam warmer Glockenschlag. Das Zeichen den Weg fortzusetzen. Drüben in einem Giebeltürmchen auf einem der alten Häuser am Hafen war eine Bewegung auszumachen. Er wusste nicht, wer es war, aber seit geraumer Zeit achtete er darauf. Seit jenem Morgen vor einigen Wochen, als es ihm bei einer seiner ersten frühen Inselrunden vorgekommen war, als hätte er Gesang gehört. Eine einzelne, brüchig klingende Männerstimme, vom Wind in Wort- und Melodiefetzen über das Wasser getragen. Er hatte gemeint, das Lied zu erkennen, was ihm dann doch nicht gelungen war. Ein Choral. Seine Augen hatten auf der Suche nach der Quelle dieser ungewohnten Klänge eine Gestalt ausgemacht. Hoch droben im grünen Türmchen, hinter den Gitterfenstern geschützt vor dem Wind.
    Er bewegte den ganzen Körper, gab den Schub der Paddel über die Füße an das Boot weiter, welches anfing zu gleiten. Kurz stoppte er, als die Sonne den Bergkamm überwunden hatte und mit einem Mal gleißendes Licht aus dem Wasser schlug und Wärme auf der Haut fühlbar wurde. Er lachte laut und froh. Wieder dem Tod einen Sonnenaufgang genommen.
    Ein Stück voraus, am Pavillon des Segelhafens, flatterte leuchtend rot ein Schal in einer ersten Windböe, von der funkelnden Sonne über dem Wasser entfacht. Ja, es gab sie – die Genießer, dachte Zenger im Vorübergleiten und wendete seinen Blick dem Pavillon zu. Er hob das Paddel zum Gruß und hielt auf die Insel Hoy zu. Jemand lehnte da an der Brüstung und sah hinunter aufs Wasser. Der Kleidung nach musste es eine Frau sein. Die Enden ihres Schals baumelten nun müde über den weichen Wellen.
    Er tauchte das Paddel langsamer in das Wasser ein, stoppte und sah zurück. Der rote Stoff des Schals berührte fast die Wasseroberfläche. Der Körper
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