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Inselwaechter

Inselwaechter

Titel: Inselwaechter
Autoren: Jakob M. Soedher
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war es ihm nicht gelungen, auf diese erhabene Weise zu den Menschen zu sprechen, wie sie Musik möglich machte, und die andere so vollendet beherrschten.
    Hatte er nicht das Aussehen eines Pianisten? Der schlanke Körper, die lockigen, nach hinten gekämmten Haare, die Arroganz im ernsten Blick. Er hätte es verdient gehabt beklatscht zu werden. Die Finger. Sie wären zu kurz, verbreitete er. Besonders die Daumen. So wichtig waren sie, die Daumen. Sie mussten lang sein. Bedauern war ihm heftig zuteilgeworden, über die zu kurzen Daumen, doch tief im Innern durchschaute er, dass es nicht mangelnder Fleiß, Disziplin oder musikalische Intelligenz waren, die seinem Traum im Wege standen. Er war trotz holder Locken, Ehrgeiz und Willen nicht vollkommen. Dieses besondere Talent, das sich zu einer großen Begabung gesellen musste, fehlte ihm – Berührung. Sein Spiel reichte aus sich selbst zu berühren, vielleicht noch einige seiner Lehrer, die wenigen Freunde, die dann und wann lauschten. Doch vor wirklichem Publikum hatte er beklemmende Angst, eine Angst, in der jedes Schwingen erstickte. Er mochte sie nicht, diese Menschen, zu denen er durch seine Musik hätte sprechen sollen. Er mochte die Menschen generell nicht und hielt sie also seiner Kunst nicht würdig. Daher ließ er es sein. Er studierte und suchte sich ein Publikum, vor welchem er keine Angst zu haben brauchte – er wurde Lehrer.

    Ein erster gelber Hauch schien auf, weit hinten, über Bregenz, der alten Stadt am See, die ganz in der Zeit war und sich neu erbaute.
    Er stand auf und verließ die Wohnung. Langsam, Schritt für Schritt, ging es die breiten Stufen hinauf zu seinem Ausguck. Er legte die Hände an das schmale Geländer des Rundlaufs und blickte rundherum. Wer ihn, den alten Mann, so im Schattenriss sehen konnte, musste erschrecken. Der flattrige Anzug am dürren ausgemergelten Körper, das gebeugte Rückgrat, der dünne Schädel mit der großen Hakennase. Wie ein alter Falke hing er da oben und wachte über die Stadt. Ja, er selbst sogar betrachtete es als seine Aufgabe und er vollzog sie mit jener Gründlichkeit und Konsequenz, mit der er alles in seinem Leben in die Hand genommen hatte.
    Nichts Besonderes an diesem Tag. Nirgends ein Licht zu sehen. Das hatte noch Zeit und er kannte die Fenster, hinter denen es zuerst aufscheinen würde. Er sann darüber nach, ob er heute singen sollte. Er entschied sich dagegen, schob den Sitzschemel in Position und schloss die Türe.
    Etwas erregte seine Aufmerksamkeit aber doch. Es konnte noch keine Rede davon sein, Farben, Lichter, Schatten oder Bewegungen deutlich wahrzunehmen. Doch die Schwärze über dem Wasser hatte schon etwas an Dichte und Intensität eingebüßt und der dunkle Schatten, der lautlos über das Wasser glitt, entstand mehr aus dem Zusammenwirken von Sinneseindruck, Konstruktion, Erinnerung und Ahnung denn aus nüchternem Sehen und Erkennen: Es war ein Boot, eine Motorjacht, die langsam von Seite der Spielbank her am Becken des Segelhafens vorbeischlich. Zuvor hatte er noch etwas bemerkt. Er hatte sich dazu am hölzernen Rundlauf ein Stück weit nach oben gezogen, um nach unten sehen zu können. Etwas – nein, ein Jemand, war als Schatten vom Finanzamt hergekommen und auf der südlichen Mole nach draußen gelaufen – bis zum alten Clubhaus.
    Zychner ließ den Handlauf los und sank wieder zurück. Für einen Samstag, den die Sonne noch nicht zu einem Tag gemacht hatte, war viel geboten, da unten.
    *
    Die Geräusche im Wald waren der Natur fremd. Heftiges Atmen drang durch das Dickicht, dazu metallisches Klirren, wenn Metall auf Metall schlug. Äste knackten unter schweren Stiefeln, dazu helles Zischen, wenn gespannte Äste und Zweige über den feinporigen Stoff der Jacken schnellten. Niemand konnte es hören; Laimnau und Iglerberg waren zu weit entfernt, und dort schlief noch alles.
    Unter dem noch zarten Laub verblieb auch tagsüber eine angenehme Kühle, und jetzt, in der dem Tage entgegentaumelnden Nacht, waltete dort eine frostige Frische.
    Trotzdem tropfte den beiden Männern Schweiß von der Stirn. Sie zerrten einen schweren Leib hinter sich her und kamen hinaus auf eine kleine Lichtung. Sobald sie das Buschwerk hinter sich gelassen hatten, überlagerte die belebte Süße des kniehohen Grases den modrigen, säuerlichen Dunst, der hinter ihnen das Dunkel begleitet hatte. Auf der Lichtung angekommen, kniete einer der beiden nieder und holte das Messer aus dem Lederetui, das aufreizend
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