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Inseln im Wind

Inseln im Wind

Titel: Inseln im Wind
Autoren: Elena Santiago
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wurde von mehreren Seiten angerempelt, sie bekam kaum noch Luft und lief Gefahr, niedergetrampelt oder zu Boden gedrückt zu werden. Nur Augenblicke später entbrannte unmittelbar neben ihr ein Streit auf Leben und Tod. Ein aufs Höchste erzürnter Mann, mit seinem schlichten schwarzen Gewand und dem strengen Haarschnitt unschwer als Puritaner zu erkennen, schwang einen dicken Stock gegen einen in Samt und Spitze gekleideten Gentleman, der sich mit dem Ausruf » Tod den Königsmördern!« zur Wehr setzte. Der Stutzer hatte blankgezogen und wollte zum Stich ausholen, doch im Getümmel wurde er gestoßen und verlor den Degen, worauf er mit den Fäusten weiterkämpfte.
    Elizabeth konnte dem Geschehen nicht ausweichen. Sie schrie auf, als sie unter dem Druck nachdrängender Leiber direkt zwischen die Kämpfenden geriet. Fast hätte sie der niedersausende Knüppel des Rundkopfs getroffen. Gerade noch rechtzeitig ließ ein grober Schubs in den Rücken sie vorwärtstaumeln, sie entging dem Hieb nur um Haaresbreite. Jemand packte sie beim Kragen und riss sie fort, weg von den zornigen Kontrahenten. Sie wurde mehr getragen als gezogen und spürte, wie ihre Füße nachschleiften. Sehen konnte sie indes für eine Weile nichts – die Kapuze ihres Umhangs war ihr über die Augen gerutscht.
    Abseits des Tumults wurde sie wieder auf die Beine gestellt. Hastig befreite sie sich von der hinderlichen Kapuze. Und blickte in die blauesten Augen, die sie je gesehen hatte.
    » Das ist gerade noch einmal gut gegangen«, sagte Duncan Haynes . Er hielt das Mädchen immer noch an den Schultern fest, um sicherzugehen, dass es aufrecht stehen blieb. Ihr Gesicht war kreidebleich, der Schreck über das Erlebte war ihr deutlich anzusehen. Sie schwankte ein wenig und holte tief Luft. » Das war wirklich knapp«, brachte sie mit zitternder Stimme hervor. » Ich bin Euch zu großem Dank verpflichtet, Sir!«
    » Haynes. Duncan Haynes, zu Euren Diensten.« Er zog seinen Hut und verbeugte sich höflich, während er sie mit der anderen Hand stützte. Man konnte nie wissen. Diese zarten adligen Pflänzchen pflegten bei den unmöglichsten Gelegenheiten in Ohnmacht zu fallen, sei es aufgrund schrecklicher Ereignisse oder wegen eines zu eng geschnürten Mieders. Da in diesem Fall beides zusammenkam, grenzte es an ein Wunder, dass sie überhaupt noch stand.
    Neugierig musterte er sie. Ein schönes Mädchen, wenn auch auf eigenwillige Art. Kräftig geschwungene Brauen bogen sich über dicht bewimperten, leicht schräg stehenden Türkisaugen. Das honigfarbene Lockenhaar bildete wiederum einen bemerkenswerten Gegensatz zu den dunklen Brauen und zu ihrer Haut, deren schwache Olivtönung weit entfernt war vom blütenweißen Schönheitsideal englischer Ladies. Der sinnliche Schwung ihrer Oberlippe wurde von dem ausgeprägten Kinn Lügen gestraft, und die kühne, fast römisch geschnittene Nase schien die sanften, noch kindlichen Rundungen ihrer Wangen in die Schranken weisen zu wollen.
    Zweifellos ein Geschöpf voller Gegensätze und dabei trotz ihres anmutig hohen Wuchses kaum erwachsen. Duncan schätzte sie auf sechzehn, höchstens siebzehn Jahre. Ihren Namen kannte er nicht, wusste aber, dass sie James Raleighs einzige Tochter war, denn er hatte die beiden vorhin noch zusammen gesehen, und sie sah ihrem Vater überaus ähnlich.
    Der Viscount Raleigh war in den letzten Monaten durch seine unversöhnliche Haltung gegenüber dem neuen Regime mehr und mehr ins Visier von Cromwells Spitzeln geraten. Dass er nicht schon längst wie viele der anderen königstreuen Peers eingekerkert worden war, verdankte er vermutlich unter anderem dem Umstand, dass er sich während seiner Jugend gut mit Cromwell verstanden hatte. Zudem hatte James Raleigh, wenn auch eher unwillentlich, das Kunststück fertiggebracht, den König in den Zeiten des Umsturzes nicht in offenem Kampf zu unterstützen – weder war er mit ihm persönlich zu Felde gezogen, noch hatte er Truppen für Charles rekrutiert. Ersteres war ihm wegen seiner Gesundheit nicht möglich gewesen (es hieß, er habe ein schwaches Herz), und Letzteres hing mit finanziellen Beschränkungen zusammen. Der Viscount war zwar, wie Duncan wusste, durchaus wohlhabend – allein Raleigh Manor mitsamt seinen Gütern war ein beträchtliches Vermögen wert –, doch hatte dieses Vermögen zu der Zeit, als der König dringend auf Unterstützung durch die finanzkräftigen Peers angewiesen war, nicht James, sondern noch dessen greisem
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