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Inseln im Wind

Inseln im Wind

Titel: Inseln im Wind
Autoren: Elena Santiago
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mitfühlende Anteilnahme zu versagen?«
    Elizabeth hob das Kinn und erwiderte kühn den Blick ihres künftigen Schwiegervaters.
    » Ich werde gewiss nicht wegschauen!«
    Sie hielt es nicht für nötig, darauf hinzuweisen, dass sie bestimmt nicht mitgekommen war, um dem König das Gefühl zu geben, nicht allein unter Feinden zu sterben, sondern nur deshalb, weil ihr Vater sie brauchte. Er hatte in diesen schlimmen Stunden niemanden sonst, der ihm beistand. Elizabeth wusste, dass er förmlich verging vor Kummer und Angst. Seine Ehre zwang ihn, zu seinem König zu stehen, doch die Gebote der Vernunft erforderten es, dass er in dieser aussichtslosen Lage nicht das Leben der Seinen aufs Spiel setzte. Die Rundköpfe unter Oliver Cromwell machten kurzen Prozess mit allen Royalisten, die weiterhin offen gegen die neuen Machthaber rebellierten. Ihr Vater musste vernünftig sein, und, bei Gott, er gab sich Mühe, auch wenn es ihn innerlich zerriss. Wäre es ihm möglich gewesen, hätte er sich an Charles Stuarts Stelle köpfen lassen. Doch so blieb ihm nur, in der schwersten Stunde seines Herrschers bis zum bitteren Ende auszuharren. Mochte Charles auch nicht mehr zu seinen Freunden und Weggefährten sprechen können – er konnte sie hier stehen sehen und wusste, dass er nicht allein war.
    Elizabeth entzog Robert ihre Hand, trat an die Seite ihres Vaters und legte den Arm um seine Mitte. Er nahm es kaum wahr. Starr vor Leid und Entsetzen blickte er zum Podium.
    Der König nahm seinen Umhang und den Hosenbandorden ab, den er dem Bischof reichte. Sodann zog er sein Wams aus und hüllte sich wieder in den Umhang. Ohne länger zu zögern, kniete er sich vor den Richtblock und sprach mit erhobenen Händen ein letztes Gebet. Schließlich legte er den Kopf auf den Block. Der Scharfrichter hatte das Beil ergriffen und stand bereit. Der König streckte seitlich die Hand aus – fraglos ein vorher vereinbartes Signal für den Henker, der mit sausendem Schwung das Beil auf den ungeschützten Nacken des Königs niederfahren ließ. Er verstand sein Handwerk. Das Haupt flog gleich beim ersten Hieb vom Rumpf.
    Ein dumpfes Seufzen stieg ringsherum auf, als sei die Menge ein einziges, gequältes Wesen. Auch Lord Raleigh keuchte auf, Elizabeth fühlte, wie ihr Vater zusammenzuckte. Grellrot spritzte das Blut, als der Körper des Königs herabsackte und der Henkersknecht den vor seine Füße rollenden Kopf bei den Haaren packte und die triefende Trophäe hochhielt, sie der Menge präsentierte und dabei mit lauter Stimme rief: » Dies ist der Kopf eines Verräters!«
    Lord Raleigh löste sich aus den Armen seiner Tochter und tat einen Satz nach vorn, in jähem Schmerz die Fäuste zum Himmel gereckt. » Cromwell, du elender Lump, in der Hölle sollst du schmoren!«, brüllte er, doch sein Ausruf war nur einer von unzähligen anderen. Ein vielstimmiger Schrei hatte sich beim Anblick des blutigen Haupts aus der Menge erhoben. Die Menschen gerieten in Bewegung, unter Gebrüll strebten sie zum Schafott, drängten die Soldaten zur Seite und erkämpften sich ihren Weg zum Podest. Wutgeschrei, Schluchzen und lautes Stöhnen übertönten alle Befehle, die Menge ließ sich nicht aufhalten. Während der Leichnam des Königs nebst dem blutigen Haupt eilends in einen mit schwarzem Samt ausgeschlagenen Sarg gebettet und ins Schloss gebracht wurde, drängten sich die Zuschauer näher und tauchten Tücher in die Blutlachen, manche weinend, andere hohnlachend, je nach politischer Gesinnung.
    Befremdet verfolgte Robert Dunmore das Treiben.
    » Mein Gott, warum tun sie das?«
    » Einige von ihnen hoffen zweifellos, damit gute Geschäfte zu machen«, sagte sein Vater.
    » Was für Geschäfte?«, wollte Robert wissen. Doch Harold Dunmore hatte sich bereits von dem Geschehen abgewandt, um den Hinrichtungsort zu verlassen. Für ihn war die Sache erledigt. Robert folgte ihm achselzuckend. Im Weggehen meinte er murmelnd zu sich selbst: » Etwa Reliquienhändler? Hm, das könnte passen. Verrückte gibt es überall, in England mehr als woanders.«
    Elizabeth reckte den Kopf und hielt nach ihrem Vater Ausschau. Sie war in der wogenden Menge abgedrängt worden. Auch Robert und ihr zukünftiger Schwiegervater waren außer Sicht geraten. Sie stand eingekeilt zwischen aufgebrachten Zuschauern, die einander mit wüsten Schmähungen überschütteten. Rundköpfe beschimpften Anhänger der Stuarts und umgekehrt, hier und da gab es bereits die ersten Handgreiflichkeiten. Elizabeth
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