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Insel der Schatten

Insel der Schatten

Titel: Insel der Schatten
Autoren: Wendy Webb
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beispielsweise durch den Central Park fuhren, sondern ein vernünftiges geschlossenes Gefährt, von dem man sich durchaus vorstellen konnte, dass die Leute früher darin tatsächlich ihre täglichen Besorgungen erledigt hatten. Mr. Archer hatte gesagt, er würde mir ein Taxi schicken, und hier war es.
    Der kastanienbraune Wallach machte vor mir Halt, und der Kutscher, ein älterer Mann mit einem weißen Haarschopf, brummte: »Ich nehme an, Sie sind Ms. James. Ich soll Sie zum Manitou Inn bringen.« Leise stöhnend glitt er vom Kutschbock, um meine Taschen einzuladen.
    »Aber ich dachte, ich treffe mich mit William Archer in seinem Büro?«, wunderte ich mich.
    Der Mann griff kurzerhand in seinen Mantel und förderte einen kleinen Umschlag zu Tage, den er mir hinhielt. »Den hier soll ich Ihnen geben, da steht alles drin.«
    Ich öffnete den Umschlag und überflog den darin enthaltenen kurzen Brief.
    Liebe Hallie,
    bitte verzeihen Sie diese unvorhergesehene Änderung unserer Pläne. In letzter Minute, gerade als Ihre Fähre anlegte, kam mir eine dringende geschäftliche Angelegenheit dazwischen. Statt dass wir uns wie vereinbart in meinem Büro treffen, habe ich Henry angewiesen, Sie zu Ihrer Pension zu bringen.
    Ich habe mir die Freiheit genommen, unsere Verabredung auf morgen früh, neun Uhr, zu verschieben. Falls Ihnen das nicht recht sein sollte, rufen Sie mich bitte an und nennen Sie mir einen anderen Termin.
    Ich entschuldige mich noch einmal dafür, Ihnen vielleicht Unannehmlichkeiten bereitet zu haben.
    Mit freundlichen Grüßen,
    William Archer
    Ein handgeschriebener Brief? Warum hatte er mich nicht einfach auf meinem Handy angerufen, um mir mitzuteilen, dass er die Verabredung nicht einhalten konnte?
    »Ich sage nur kurz Bescheid, dass ich keine Einwände habe«, murmelte ich, während ich mein Mobiltelefon aus meiner Handtasche fischte. Als ich feststellte, dass ich keinen Empfang hatte, begriff ich, warum Mr. Archer mich schriftlich benachrichtigt hatte.
    Henry zuckte die Achseln. Ich sah ihm an, was er vermutlich dachte: »Typisch Touristin.«
    Seufzend ließ ich das nutzlose Handy in die Tasche zurückfallen. »Dann fahren wir eben zur Pension«, lächelte ich, als er mir eine Hand hinhielt, um mir die zwei Stufen hinauf in die Kutsche zu helfen. Dort machte ich es mir bequem, und die Kutsche fuhr mit einem kurzen Ruckeln an.
    Das leise, rhythmische Hufgeklapper lullte mich ein, während ich die hinter dem Fenster an mir vorbeiziehende Stadt betrachtete, und dann lehnte ich mich zurück, atmete tief aus und spürte, wie mich ein Gefühl tiefen Friedens überkam. Vermutlich lag das an der völligen Abwesenheit von Straßenlärm: kein Auto, kein Bus, keine Abgase, kein Gehupe und kein Handygeklingel störten die einträchtige Stille; ich hörte nur den ruhigen Schlag meines eigenen Herzens.
    Wir bogen von der Hauptstraße ab und erklommen einen gleichfalls von Häusern aus dem viktorianischen Zeitalter gesäumten Hügel. Die Häuser hier waren nicht ganz so prächtig wie die, die ich von der Fähre aus gesehen hatte, aber dennoch sehr hübsch mit ihren Veranden und vorbildlich gepflegten Rasenflächen. Hatte meine Mutter vielleicht in einem dieser Häuser gelebt? Und ich selbst auch? Ich durchforstete mein Gedächtnis nach Erinnerungsfetzen oder irgendwelchen eventuell vertrauten Kleinigkeiten. Als Kind war ich immerhin diese Straßen entlanggerannt, hatte hier gespielt, hier gewohnt – da musste doch irgendetwas Spuren hinterlassen haben! Doch es kam mir vor, als würde ich meine gesamte Umgebung mit den Augen einer völlig Ortsfremden betrachten.
    Wir fuhren weiter hügelaufwärts und hielten schließlich vor einem gelben Holzhaus. Rings um das Gebäude verlief eine breite Veranda, und ein bunt bemaltes Schild schwang geräuschvoll an seinem Haken und verkündete: »Manitou Inn«.
    Während Henry mein Gepäck auslud, stieg ich die Stufen zur Tür hoch, blieb dann aber angesichts des Ausblicks, der sich mir bot, wie angewurzelt stehen. Von der Veranda aus konnte ich den See überblicken, das felsige Ufer der Insel und sogar das Festland auf der anderen Seite erkennen. In der Ferne sah ich die Fähre zurücktuckern, die von hier aus wie ein Spielzeugboot wirkte. Mir stockte der Atem, und ich konnte auf einmal gut verstehen, warum sich die Wohlhabenen früherer Zeiten hier zur Sommerfrische versammelt hatten.
    »So etwas sieht man nicht alle Tage, nicht wahr?« Henry grinste breit.
    »Nein, allerdings
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