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Inkubus

Inkubus

Titel: Inkubus
Autoren: Luca Di Fulvio
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lebendiger, zitternder Blutfleck, wie eine Wunde, diese mit tiefrotem Lippenstift betonten vollen Lippen, die so weich sein mussten wie die Blütenblätter einer Kamelie. Die raue Stimme einer Frau, eines jungen Mädchens. Breitschultrig und flachbrüstig.
    »Hau ab«, hatte er zu ihr gesagt. Ohne es wirklich so zu meinen.
    »Für dich mach ich’s umsonst«, hatte die Nutte mit der heiseren Stimme zu ihm gesagt.
    »Ich bin schwul, hau ab!«
    »Du kannst mich von hinten nehmen und dabei nennen, wie du willst.«
    »Ich steh nicht auf Frauen, kapierst du das nicht?«
    Blitzschnell, ehe er die Nutte daran hindern konnte, war sie ganz dicht an ihn herangetreten, hatte ihn mit unerwarteter Kraft am Handgelenk gepackt. Mit der anderen Hand hatte sie ihren kurzen, nachtblauen Rock gehoben, der dabei zwischen ihren eng aneinandergepressten Körpern raschelte. Dann hatte sie seine Hand unter den Gummibund ihres Slips und zwischen ihre Beine geschoben. »Für dich mach ich’s umsonst«, hatte sie ihm schwer atmend ins Ohr gekeucht, während das Stück Fleisch, das sie ihn zu berühren und zu umklammern zwang, hart wurde und anschwoll. Eine raue Stimme hatte sie. Wie eine Frau, wie ein kleiner Junge, aus dem jetzt ein Mann geworden war.
    Er hatte ihn nach vielen Jahren wiedergefunden. Es war Zufall gewesen. Oder ein Wunder. Oder vielleicht ein grausamer Scherz des Schicksals. Oder auch alles zusammen. Und für jede Möglichkeit gab es ein anderes Motiv. Drei Gründe, drei unterschiedliche Ziele.
    Er hatte ihn an den Haaren gepackt, um ihn von sich wegzuzerren. Doch dann hielt er plötzlich die Perücke in der Hand, wie einen Skalp. Und als er die Narbe bemerkte, begriff er auf einmal, dass er nicht sterben, nicht von dieser Brücke ins Wasser springen würde. Nicht in dieser Nacht. Nicht solange er Luz an seiner Seite haben konnte.
    Er hatte ihn wiedergefunden. Zufällig. Wie durch ein Wunder. Weil es sein Schicksal war, Luz wiederzutreffen.
    Jetzt, knapp ein Jahr später, saß er am Tresen des Dover Beach und lächelte ihn immer noch an.
    Was ihn stets an Luz beeindruckt hatte, war dieses innere Leuchten und diese besondere Art von Leichtigkeit.
    Das Lokal war düster und verqualmt. Die Gäste tauschten anzügliche Blicke, verständigten sich mit sparsamen Gesten, um dann in der Dunkelheit der Toiletten oder in den entlegeneren Winkeln des Lokals schnellen Sex miteinander zu haben. In der Luft lag bedrückende Schwüle und Fäulnis. Diese Atmosphäre der Verderbtheit konnte auch die Klimaanlage nicht herausfiltern. Über allem lastete der dumpfe Geruch nach Männerschweiß, Sex und Alkohol. Die gedämpfte Beleuchtung ließ noch mehr Schatten entstehen. Schatten, die in der Dunkelheit des Lokals ihr Spiel trieben. Schemenhafte, flüchtige, gierige Schatten.
    Luz lächelte den Kunden zu, während er zwischen den Tischen hin und her lief, in die Separees schaute und plötzlich die Türen zu den Toiletten aufriss. Er schenkte jedem ein Lächeln, und jeder dachte, dass dieses Lächeln etwas ganz Besonderes sei, das nur ihm allein galt. An diesem Abend trug er ein schwarzes Seidenkleid, dessen langer geschlitzter Rock Beine in dünnen blauen Strümpfen sehen ließ. Von den Schultern baumelten – ebenso goldglänzend wie seine hochhackigen Schuhe – zwei Epauletten, die von der Uniform eines hohen Offiziers stammen mussten. Er trug eine platinblonde, beinahe weiße Perücke, deren Locken sich um seinen langen, schmalen Hals ringelten. Sein Gesicht war wie immer sehr blass. Während er lachte und die Gäste unterhielt, klimperte er mit den Wimpern, und sein Mund öffnete und schloss sich so schnell, als müsse er nach Luft schnappen, um nicht zu ersticken oder in einem Strudel aus Schmerz und Lust zu ertrinken. Im Schwung seiner weichen, vollen, samtig roten Lippen lag die ganze Sinnlichkeit einer Jugend, die sich noch nicht eindeutig für ein Geschlecht entschieden hatte.
    In den Augen des Mannes war Luz auch kaum mehr als ein Junge. Erst in letzter Zeit kam es ihm vor, als entdeckte er bei ihm Anzeichen des Erwachsenwerdens. Luz war kaum mehr als ein Junge, der sich wie eine Frau anzog. Und der Mann wusste, dass er unter diesen Kleidern weiße Baumwollslips trug, wie man sie in größeren Kaufhäusern fand. Jungenunterwäsche.
    Luz sah auf die Uhr, dann gab er dem Mann ein Zeichen und ging hinaus.
    Einige Gäste versuchten, ihn aufzuhalten. Für diese Leute war der Junge nur eine der Attraktionen des Dover Beach . Eine sexuelle
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