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Inkubus

Inkubus

Titel: Inkubus
Autoren: Luca Di Fulvio
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ausgeführt. Beispielsweise hingen seine Arme nicht kraftlos am Körper herab, sondern hatten eher etwas von der scheinbar trägen Schlaffheit eines Fangarms, oder besser gesagt von der unverkrampften Spannung und Leichtigkeit von Flügeln. Wie ein Dirigent gaben sie in Harmonie mit dem übrigen Körper stets unbewusst den Rhythmus seiner Schritte vor. Und dann dieser wohlgeformte Körper mit den schmalen Hüften und dem breiten, aber knochigen Oberkörper, auf dem sich die Brustmuskulatur noch stärker abzeichnete, deutlich seine Männlichkeit signalisierend, und darüber die zarten Härchen wie eine weiche Federstola.
    »Wirst du nach ihm suchen?«, fragte der Mann ganz leise.
    Der Junge bog um die Ecke und verschwand. Nun verhärtete sich das Gesicht des Mannes wieder und das Lächeln verschwand daraus. Er rieb sich seine breite Boxernase, warf die Kippe an die gegenüberliegende Hauswand und entfernte sich in entgegengesetzter Richtung.
    Als er an der getönten Glastür des Dover Beach vorbeikam, betrachtete er sich kurz darin.
    Er war nun fast fünfzig und fühlte sich kraftlos. Sein Anblick ekelte ihn so sehr an, dass er in seiner Wohnung alle Spiegel außer den im Bad abgehängt hatte, den er zum Rasieren brauchte. Doch inzwischen war ihm auch dieser morgendliche Blick in den Spiegel unerträglich geworden. Vielleicht sollte er sich einen Bart wachsen lassen, dann könnte er auch diesen letzten Spiegel wegwerfen. Der Mann lief noch zwanzig oder dreißig Meter weiter, während er wütend die Hände in den Taschen vergrub und zornig den ganzen Abfall wegkickte, der ihm vor die Füße kam. Plötzlich blieb er stehen.
    »Wirst du auch heute Nacht nach ihm suchen?«, schrie er in die menschenleeren Gassen hinaus.
    Dann machte er kehrt, lief eilig zum Dover Beach zurück, trat ein und gab dem Schwulen mit dem auffallend breiten Mund einen kurzen Wink. Er ging zu den Toiletten, aus denen bereits Stöhnen und Keuchen zu hören war. Dort wartete er kurz auf den Breitmäuligen, trat dann, als er nicht kam, wieder heraus, packte ihn am Handgelenk, drehte ihm den Arm auf den Rücken und schob ihn brutal durch die Tür. Zwischen ihnen wurde kein einziges Wort gewechselt, aber das war auch nicht nötig. Der Mann drückte ihn mit seiner kräftigen Hand auf dem Nacken nach unten und zwang ihn, sich auf diesen weißen, glitschigen Fliesen niederzuknien. Er ließ zu, dass der andere den Reißverschluss seiner Hose öffnete und sein mächtiges Glied herausholte. Während die Vorhaut von der Eichel glitt, bemerkte er, dass der andere wie ein erfahrener Stricher nur darüberhauchte.
    »Schluss mit dieser Luftnummer«, befahl Palermo. »Jetzt lass mich mal sehen, was du wirklich draufhast«, und drückte den Kopf des anderen gewaltsam auf seinen angeschwollenen, prallen Schwanz herunter.
    Die Fliesen der Toiletten waren weiß, damit man das Sperma nicht so sah. Doch dadurch ließ sich nicht verhindern, dass sie glitschig wurden.
    Der Mann brauchte nicht lange, um all die Bitterkeit herauszuschleudern, aus der sich seine Wut speiste.
    Er würdigte den Schwulen, der würgend und hustend vor ihm kniete, kaum eines Blickes, ehe er ihn ohne ein Wort des Dankes beiseitestieß. Er zog den Reißverschluss seiner Hose hoch und rückte sich die Hoden zurecht. Dann verließ er das Dover Beach .
    Die Möwen erfüllten den Himmel mit ihren herzzerreißenden Kinderstimmen und kämpften leidenschaftlich miteinander um die Herrschaft über ein Gebiet, das niemand auch nur geschenkt haben wollte. Der Mann blieb einen Moment stehen, schaute suchend hoch zu ihnen, zwischen zwei baufälligen Wohnblocks hindurch, die so eng nebeneinanderstanden, dass sie nur einen schmalen Spalt Nachthimmel sehen ließen, wie eine klaffende Wunde. Ab und zu tauchten dort die Vögel auf, weiße, flüchtige Silhouetten, kreischende Sternschnuppen, die jedoch keine Wünsche erfüllten, nicht einen Traum der Leute dort in der Altstadt wahr werden ließen. Dieser Altstadt, die bei den Jüngeren nur der »Käfig« hieß. Dann drang der klebrige Gestank von Schmutz und Körpersäften in seine Nase und holte ihn in die Wirklichkeit zurück.
    In zehn Minuten begann sein Dienst. Er setzte sich in Bewegung, und nachdem er mehrere steil abfallende Straßen überquert hatte, sah er vor sich den Hafen mit seiner düsteren Silhouette, den mächtigen schmutzig grauen Wellenbrechern und den hoch in den Himmel aufragenden Kränen, den bedrohlichen Schatten der Frachter, dem Schornstein
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