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Inkubus

Inkubus

Titel: Inkubus
Autoren: Luca Di Fulvio
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Attraktion. Doch dem Mann bedeutete er viel mehr. Er kannte Luz, seit der ein kleiner Junge gewesen war. Seit dem Moment, als er in dessen Augen sich selbst wiedererkannt hatte.
    Der Mann blickte zu der Tür, hinter der Luz verschwunden war, und lief zum Ausgang auf der anderen Seite des Raumes. Ein Schwuler mit einem außergewöhnlich breiten Mund kam hüftschwenkend auf ihn zu. Der Mann stieß ihn wortlos zur Seite und ging weiter. Er grüßte einen der beiden Türsteher, die am Eingang des Lokals herumstanden, mit einem Augenzwinkern und trat ins Freie hinaus.
    Wie immer hing über der Altstadt dieser Gestank nach Feuchtigkeit und Katzenpisse. Der Himmel war bedeckt und drückend. Der Mann bog nach rechts ab und schlüpfte in eine schmale Gasse, die am Dover Beach entlangführte. Er lief, bis er zu einem übelriechenden kleinen Platz, ganz am Ende, kam, wo es nicht mehr weiterging und dicht an dicht Mülltonnen standen, die zu diesem Schwulenlokal gehörten.
    Kurz darauf öffnete sich eine mit obszönen Sprüchen und Telefonnummern vollgekritzelte Tür, von der die rosa Farbe abblätterte.
    Luz trat heraus, über seiner Transvestitenkluft trug er jetzt eine kurze, ehemals rote Lederjacke, die rissig und an den Ellbogen abgeschabt war.
    Der Mann lächelte ihn an.
    Der Junge kam auf ihn zu. Eines seiner Unterlider war verschmiert von zerlaufener Wimperntusche.
    Der Mann zog ein Taschentuch heraus, wickelte es stramm über die Spitze seines Zeigefingers und hielt es dem Jungen an den Mund, der kurz daraufspuckte. Dann packte der Mann Luz mit einer ebenso entschiedenen wie zärtlichen Bewegung im Nacken und wischte ihm mit dem Taschentuch den Trauerrand unter dem Auge weg.
    Beide lachten darüber.
    »Danke, Papa«, meinte Luz.
    »Nenn mich nicht so. Du weißt doch, dass ich das nicht mag.«
    Beide schlenderten wortlos, die Hände in den Taschen vergraben, von diesem dunklen kleinen Platz weg die Gasse entlang bis zur nächsten Straßenlaterne. Links von ihnen blinkte die geschmacklose Leuchtreklame des Dover Beach auf. Sie blieben vor dem Lokal stehen und musterten stumm ihre Schuhspitzen. Doch ihr Schweigen hatte nichts von Verlegenheit an sich. Von drinnen klang gedämpft die Melodie eines Songs.
    »Warum gehst du nicht nach Hause?«, fragte der Mann. »Es ist kalt heute Nacht.«
    »Hab keine Lust«, antwortete Luz. »Macht es dir was aus?«
    »Nein«, log der Mann.
    Luz lächelte. Er hatte strahlend weiße, gleichmäßige Zähne. Wenn er lächelte, kniff er die Augen leicht zusammen, sodass sich ringsum kleine, hellere Fältchen bildeten. Seine Augen wirkten unglaublich durchdringend. Augen, die mit keinem inneren Organ verbunden zu sein schienen, nicht einmal mit dem Herz oder dem Gehirn, Augen, die ihrem Gegenüber nichts preisgaben, nicht einmal Hass, und nicht verrieten, was sich hinter diesen wie Glasscheiben wirkenden Augen verbarg. Augen, von denen ein einzigartiges Leuchten ausging, Augen, die Bände sprachen. »Was ist mit dir?«, fragte der Junge zurück, während sein Lächeln in ein helles, klares Lachen überging, aus dem keinerlei Bosheit herauszuhören war. »Gehst du wieder da rein?« Der Junge wies mit seinem sanft gerundeten Kinn auf das Dover Beach .
    »Nein. Ich hab Nachtschicht«, antwortete der Mann. »Ist dir auch bestimmt nicht zu kalt?«, fragte er mit gespielter Unbekümmertheit.
    »Hör endlich auf, dir Sorgen zu machen«, sagte Luz in zärtlichem Ton und legte ihm eine Hand auf den Arm.
    Sein Gesicht wirkte genauso heiter wie das seines Gegenübers. Beide waren gleich groß, aber der andere Mann war kräftig gebaut, hatte eine breite Nase und kurze Haare, die seine markanten, angespannt wirkenden Gesichtszüge betonten.
    Der Mann lächelte noch einmal, wobei sich seine dunklen, ein wenig abwesend wirkenden Augen zu schmalen Schlitzen zusammenzogen. Dann zündete er sich eine Zigarette an und wandte sich, den Rauch über ihrer roten Glut ausstoßend, dem Eingang des Lokals zu. Er spürte noch, wie ihm eine Hand zart über den Rücken strich, dann hörte er, wie der Junge auf seinen hohen Pfennigabsätzen davonstöckelte. Er wartete noch einen Augenblick, dann drehte er sich um und sah ihm nach, wie seine schlaksige Gestalt mit eleganten Schritten im Dunkel der Altstadt verschwand. Luz bewegte sich unglaublich geradlinig und grazil. Wie ein Windhund. Oder ein Vogel. Jede seiner Bewegungen, mochte sie auch noch so schnell sein, wirkte dennoch so konzentriert, als würde sie in Zeitlupe
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