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Ingrid

Ingrid

Titel: Ingrid
Autoren: Felix Thijssen
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der Firma Maßliebchen .«
    » Maßliebchen ?«
    »Die GmbH, die diese Meisterwerke vermarktet. Mein Herausgeber besitzt alle möglichen GmbHs, das hat was mit der Steuer zu tun, ich habe keine Ahnung davon. Wir haben gerade erst eine neue gegründet, wieder mit einem Blumennamen, sie heißt Augentrost und ich selbst bin der Direktor, gemeinsam mit einem Russen. Wir wollen auch Übersetzungen aus dem Russischen im Programm unterbringen.«Ich hörte Schritte und schaute mich um. Ingrid blieb auf der obersten Stufe stehen und sagte provozierend: »Jetzt will ich Max aber wieder zurückhaben. Hast du ihm alles über deinen Ritter von Heusden erzählt?«
    Ich warf einen verstohlenen Blick auf Peters Gesicht. Zu meiner Überraschung zeigte es keine Spur von Gereiztheit oder Verletztheit. Was ich sah, war Unterwürfigkeit und eine Art sehnsuchtsvoller Ergebenheit, wie ein Hund, der alles dafür tat, sein Frauchen nicht zu enttäuschen. Falls er kein ausgefuchster Schauspieler war, der mir einen Schuldkomplex ersparen wollte, war dies ein Mann, der seine Frau anbetete.
    »Es ist ein faszinierendes Thema«, sagte ich heiser.
    »Nicht für Ingrid.« Peters Gesicht wurde ausdrucksloser, als er sich mir zuwandte. »Außerdem hat sie ganz Recht. Schließlich ist es ihr Geburtstag.«
    Ich folgte Ingrid durch das Wohnzimmer. Anita war nach Hause gegangen, Jennifer saß noch immer auf ihrem Sofa, allein. Als wir an ihr vorbeigingen, versperrte uns ein kräftig gebauter Mann mit tief liegenden Augen und fleischigen Lippen den Weg, der sich mir mit einem derben Handschlag als Bokhof vorstellte.
    »Gehst du schon, Harm?«, fragte Ingrid.
    »Nicht, bevor ich mit Jenny getanzt habe«, sagte er. »Jen?«
    Ich erkannte Widerwillen auf Jennifers Gesicht, doch aus irgendeinem Grund schien sie ihm seinen Wunsch nicht abschlagen zu können. Sie stand auf, ignorierte Bokhof und ging gehorsam vor ihm her auf die Terrasse. Ihre Bewegungen wirkten ziemlich unsicher.
    Die meisten Leute waren inzwischen ins Haus gegangen. Ein paar hatten ihre Gartenstühle zum Apfelbaum unten am Fluss gestellt und steckten dort die Köpfe zusammen, rauchten Joints und philosophierten. Ein Pärchen tanzte träge auf der Terrasse. Es war eine laue Sommernacht. Bokhof legte eine seiner Pranken auf Jennys Hüfte und blieb andächtig stehen, als warte er, bis sein Gehirn seine Gliedmaßen auf den Rhythmus der Musik programmiert hatte.
    Ingrid schmiegte sich in meine Arme. Sie sagte nichts, zog mich aber mit den scheinbar unschuldigen Tanzschritten und Zufallsmanövern, an die ich mich aus meinen Teenagerjahren erinnerte, zum verlassenen Ende der Terrasse hinter den Glastüren. Die Musik schien dieselbe wie vorhin zu sein; eine klagende Stimme sang auf Italienisch zu einem trägen Beat.
    Die Erinnerung an diesen Morgen glühte in meinem Körper. Sie hob ihr Gesicht, als wolle sie geküsst werden, und flüsterte: »Ich wünschte, wir könnten irgendwo anders hingehen.«
    Sie rieb ihre Brüste an mir, schob ihr Knie zwischen meine Beine und blies ihren warmen Atem an meinen Hals.
    Ich spähte über ihren Kopf hinweg hinüber zu der sicheren Barriere aus Backstein zwischen uns und den Partygästen drinnen und zur Terrasse, die sich über die ganze Breite des Hauses erstreckte. Das dritte Paar verschwand Hand in Hand in Richtung der Gruppe am Fluss. Bokhof stand mit dem Rücken zu uns am anderen Ende der Terrasse und bewegte sich kaum merklich; Jennifer blieb ganz hinter seinem Anzug in Übergröße verborgen.
    Mich überfiel das überwältigende Gefühl, dass hier etwas unecht war, künstlich, dass hier einiges nicht stimmte. Vielleicht lag das einfach an der grotesken Unangemessenheit der Situation, die mir allmählich bewusst wurde. Ich war keine zwanzig mehr, und die Sechzigerjahre gehörten eher zur Erfahrungswelt meiner Eltern als zu meiner eigenen. Ich hielt Ingrid ein wenig auf Abstand, ich wollte sie nicht verletzen. Mein Gehirn arbeitete an Dialogen: Hör mal, lass uns Freunde bleiben, vielleicht sollten wir uns Komplikationen in dieser Richtung ersparen.
    Ingrid schaute mich fragend an, und ich sagte: »Ich glaube …«
    In diesem Moment wurde jegliche Romantik von einer schrillen Stimme mit überraschend starkem Amsterdamer Tonfall abrupt im Keim erstickt.
    »Behalt deine verfluchten Drecksfinger bei dir, du Mistkerl!«
    Ich sah, wie Bokhof rückwärts stolperte, als Jenny ihn wütend von sich wegschubste. Die Leute am Fluss drehten die Köpfe in unsere Richtung,
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