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Infam

Infam

Titel: Infam
Autoren: K Ablow
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Unterarm, plänkelte auf Italienisch mit seiner Stammkundschaft, die aus Maurern, Buchmachern und Richtern bestand. Ohne meine Bestellung abzuwarten, schäumte er Milch für mich auf, löffelte die flaumige Masse auf eine großzügige Pfütze tintenschwarzen Espressos und bestäubte das Ganze mit Zimt, ehe er die Tasse über die Theke schob.
»Qualcuna ti vuole«,
sagte er und deutete mit einem diskreten Nicken über meine Schulter.
    Ich hatte etwa fünf Jahre zuvor ein paar Brocken Italienisch aufgeschnappt, als ich einen vierundachtzigjährigen Sizilianer mit Alzheimer behandelt hatte. Sein Name war Maurizio Riccio, und seine Großhirnrinde wimmelte nur so von den verknäulten Neuronen der Demenz, sodass er nicht davon abzubringen war, er sei wieder in Sizilien und mit seiner Jugendliebe vereint. Dieser Rückzug aus der Realität bereitete seinen Kindern großen Kummer, die wollten, dass ihr Vater sich vollauf bewusst war, dass er nicht neunzehn war und sich am Mittelmeer vergnügte, sondern langsam im Cohen-Florence-Levine-Altenpflegeheim hier im Herzen von Chelsea mit Prostatakrebs dahinsiechte. Sie bestanden darauf, dass ich ihm Thorazin oder ein ähnliches Antipsychotikum verschrieb. Ich weigerte mich, worauf sie mir seinen Fall entzogen. Ich hielt an dem fest, was ich von seiner Sprache gelernt hatte – und an dem, was ich von ihm über die Alterslosigkeit der menschlichen Seele erfahren hatte.
    Qualcuna ti vuole
 – Jemand möchte dich sehen. Ich steckte mir eine Zigarette an und trank einen Schluck von meinem Kaffee, ehe ich mich langsam umdrehte und Justine Franza entdeckte, die allein an einem Tisch im hinteren Teil des Cafés saß und ein Buch las. Sie hatte ihren Kopf auf ihre Hand und ihren Ellbogen auf den Tisch gestützt, sodass ihr langes goldenes Haar auf einer Seite wie ein Vorhang herabhing. Ich hatte die zweiunddreißigjährige brasilianische Fotografin, die sich auf Rundreise durch die Vereinigten Staaten befand, am Abend zuvor kennen gelernt, als sie mit ein paar Freunden hergekommen war. Wir hatten uns zwanzig Minuten lang über den Amazonas, Rio de Janeiro und den Badeort Buzios unterhalten – alles ein netter Deckmantel für das, was ich in Wahrheit sagen wollte.
Wenn ich mit dir allein an einem Strand in Rio oder in einem der Cottages auf den Kliffs von Buzios oder ein Stück die Straße runter in meinem Loft wäre …
    »Molto bella,
ja?«, gurrte Mario.
    Ich trank genug von meinem Kaffee, um mit der Tasse in der Hand gehen zu können, und machte mich auf den Weg zu ihrem Tisch.
    »Clevenger!«, rief jemand.
    Ich blieb stehen und drehte mich zum Eingang um.
    Carl Rossetti, Strafverteidiger aus der Gegend, der eher wie ein Drogenhändler aussah, kam herein. Er hatte glattes, pechschwarzes Haar, das ihm bis zur Taille reichte, goldene Armreifen an beiden Handgelenken und Ohrringe in beiden Ohren. Außerdem war er einer der besten und cleversten Juristen in und um Boston. »Du glaubst, du könntest
mich
therapieren, Doc?«, verkündete er. »Eins kann ich dir sagen: So viel Zeit hast du nie im Leben.«
    Die Gäste an den Tischen um mich herum sahen zu ihm hinüber. Er winkte ihnen lächelnd zu.
    Ich
hatte
Rossetti therapiert, doch er konnte sich darauf verlassen, dass ich es niemals einer Menschenseele verraten würde.
    Er blieb vor mir stehen und scharrte weiter mit den Füßen, als sei er noch immer in Bewegung. »Was hältst du von diesem adoptierten Irren auf Nantucket?«
    Mir sank der Mut.
    »Scheint ein ziemliches Früchtchen zu sein. Hat vor ein, zwei Jahren ein paar Katzen auf der Insel stranguliert. Hat um ein Haar die Bishop-Villa abgefackelt. Und ist in so gut wie jedes Haus in Gehweite eingebrochen.« Er grinste. »Liebesgrüße aus Moskau, wie?«
    »Soweit ich weiß«, entgegnete ich, »kann niemand genau sagen, ob er seine Finger im Spiel hatte. Bisher wurde plötzlicher Kindstod noch nicht ausgeschlossen.«
    »Komm schon. Der Junge ist doch wie aus dem Lehrbuch. Was wetten wir, dass er Bettnässer ist?«
    Rossetti spielte auf die für heranwachsende Psychopathen charakteristische Dreierkombination aus Bettnässen, Feuerlegen und Tierquälerei an.
    »Er ist ein Jugendlicher«, sagte ich. »Und es wurde noch keine Anklage gegen ihn erhoben. Wer hat da eigentlich geplaudert?«
    »Wer schon? Harrigan – der Bezirksstaatsanwalt. Dieser Fall ist eine Rakete zu den Sternen, und das weiß er ganz genau. Er könnte auf der Publicity-Welle glatt bis ins Justizministerium
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