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Infam

Infam

Titel: Infam
Autoren: K Ablow
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dafür zahlen musstest, ihn zu halten. Selbst um den Preis deiner Unschuld. Oder deines Beins.«
    Ich hielt mich weiter an die Metapher. »Es könnte ein langer Weg werden, dieser Infektion auf den Grund zu gehen. Sie brauchen vielleicht jemanden, dem Sie sich öffnen können. Jemanden außerhalb Ihrer Familie.« Ich betrachtete die Haut ihres Schenkels, die sich straff und glänzend über das entzündete Gewebe spannte. »Um etwas von dem Druck abzulassen.«
    »Der Eingriff und die Drainage sind für morgen Nachmittag angesetzt«, sagte sie.
    »Sonst würde sich die Infektion nur immer tiefer im Gewebe ausbreiten.«
    Sie sah auf ihr Bein hinunter. »Ich vermute, es wird ziemlich scheußlich aussehen, nachdem sie es aufgeschnitten haben.«
    »Ich habe so ziemlich alles schon mal gesehen … und gehört«, sagte ich.
    Sie betrachtete ihr Bein noch ein paar Sekunden, ehe sie mich ansah.
    »Wenn es Ihnen recht ist, schaue ich nach dem Eingriff wieder vorbei.«
    Sie nickte.
    »Gut.« Ich drückte ihre Hand, stand auf und ging zur Tür.
    So sieht ein kleiner Triumph in der Psychiatrie aus. Man zieht sich an die Seitenlinie zurück, umläuft die Abwehrmechanismen des Verstands und ist froh, wenigstens einen halben Schritt in Richtung Wahrheit gemacht zu haben. Unmittelbar hinter dem nächsten Wort oder dem nächsten Blick könnte der Feuer speiende Dämon lauern, dem man auf der Fährte ist, begierig darauf, gefasst zu werden, und doch entschlossen zu fliehen.
    Als ich Lillys Zimmer verließ, hörte ich, wie über das Lautsprechersystem die letzten Silben meines Namens ausgerufen wurden. Ich ging zum Schwesternzimmer, nahm das Telefon und wählte die Nummer der Telefonzentrale des Krankenhauses. »Frank Clevenger«, sagte ich.
    »Anruf von außerhalb, Doktor. Ich verbinde.«
    Es rauschte kurz in der Leitung, dann meldete sich eine tiefe Stimme. »Hallo?«
    Selbst nach zwei Jahren erkannte ich North Andersons Bariton sofort. Er war ein zweiundvierzigjähriger schwarzer Polizist aus Baltimore, dem die dunklen Straßen der Stadt ebenso vertraut waren wie die Adern, die seinen muskulösen Gewichtheber-Körper durchzogen. Wir waren enge Freunde geworden, als wir gemeinsam an jenem Kriminalfall gearbeitet hatten, von dem ich geschworen hatte, es wäre mein letzter. Die Köpfe von Mördern auszuloten hatte am Ende meine eigene Psyche an den Rand der Auflösung getrieben. »Lange nichts von dir gehört«, sagte ich.
    »Ich hätte mich schon früher gemeldet, aber …«
    Aber wir erinnerten uns wieder an Trevor Lucas, einen wahnsinnigen Schönheitschirurgen, der sich in einer geschlossenen psychiatrischen Abteilung verbarrikadiert und an ausgewählten Patienten und Angestellten grausige Operationen, einschließlich Amputationen, durchgeführt hatte. Das Blutbad, das er angerichtet hatte, geisterte noch immer durch meine Albträume. Anderson schlief wahrscheinlich kaum besser. »Du brauchst dich nicht zu entschuldigen«, sagte ich.
    Einige Sekunden verstrichen. »Du errätst nie, wo ich jetzt arbeite.«
    Anderson war der härteste und unerschrockenste Cop, dem ich je begegnet war. »Bandenkriminalität?«
    »Kalt, eiskalt.«
    »Sittendezernat?«
    »Nantucket«, erklärte er.
    »Nantucket?«
    »Du erinnerst dich doch bestimmt noch, wie sehr ich das Meer liebe«, sagte er. »Da war der Posten eines Polizeichefs ausgeschrieben, also hab ich eine Bewerbung hingeschickt. Bin jetzt schon seit sechzehn Monaten hier. Ich bin sogar eigenhändig mit der
North’s Star
hergesegelt.«
    North’s Star
war Andersons Zehn-Meter-Segeljacht, eine der großen Lieben seines Lebens, die nur von der zu seiner Frau Tina und zu seiner Tochter Kristie übertroffen wurde.
    »Ich fand, ich hätte meine Zeit an vorderster Front abgeleistet, verstehst du?«, meinte er.
    Ich verstand. Nur zu gut. Anderson hatte sich auf eine Insel zurückgezogen, während ich in die geheiligten Hallen der Universitätsklinik von Harvard geflüchtet war. »Du hast mehr als deine Pflicht getan«, bestätigte ich.
    Er räusperte sich. »Ich könnte deine Hilfe brauchen.«
    Sein Tonfall weckte in mir die Frage, ob auch er mit einer Depression zu kämpfen hatte. »Ich tue, was ich kann. Worum geht’s?«
    »Die Bishop-Familie«, sagte er, als würde das alles erklären.
    »Wer ist das?«
    »Darwin Bishop.«
    »Nie von ihm gehört«, sagte ich.
    »Der Milliardär? Consolidated Minerals and Metals – CMM? Wird an der Börse gehandelt.«
    »He, das mag ja inzwischen deine Welt sein,
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