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Infam

Infam

Titel: Infam
Autoren: K Ablow
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Epilog
    Sonnabend, 23. November 2002
    Lilly Cunninghams Heldenmut bewies sich letztendlich in ihrer Bereitschaft, sich ihren emotionalen Wunden zu stellen – dem Schmerz, von ihrem Großvater verführt worden zu sein, dem Selbsthass und dem Hass auf ihn, die daraus erwachsen waren. Bis sie den Mut dazu gefunden hatte, absorbierte sie wortwörtlich ihre eigene potenzielle Destruktivität, injizierte sie zurück in ihren Körper – sie besudelte, infizierte und verstümmelte sich selbst, ohne dabei jedoch irgendjemand anderem wehzutun.
    Julia Bishop besaß diesen Mut nicht. Sie hatte nicht gewagt, sich der Demütigung und dem Gefühl der Wertlosigkeit zu stellen, die ihr Vater in ihr hervorgerufen hatte, und hatte sich stattdessen hinter ihrem schönen Gesicht und ihrer anziehenden Art versteckt und sich an ihren sexuellen Eroberungen berauscht. Man kann es Sucht nennen. Man kann es sexuellen Sadismus nennen. Welches Etikett man der Sache auch gibt, im Endeffekt reichte sie ihre Destruktivität weiter – an Garret.
    Im Gerichtssaal, nachdem er nach Erwachsenenrecht des Mordes und des versuchten Mordes angeklagt, schuldig gesprochen und zu lebenslänglich verurteilt worden war, bat Garret nur um eines. Er wollte, dass Julia ihn umarmte. Sie tat es. Mittlerweile besucht sie ihn dreimal die Woche im Staatsgefängnis von Massachusetts in Cedar Junction.
    Julia hat Darwin Bishop nicht ein einziges Mal besucht, aber ich habe es getan. Er wurde wegen versuchten Mordes an Julia im Mass General zu neun Jahren Haft verurteilt. Wenn man seiner Version glaubt (und das tue ich), dann war er tatsächlich überzeugt gewesen, Billy hätte Brooke ermordet. Und er hatte tatsächlich versucht, die Strafjustiz auszumanövrieren und ihn im Payne Whitney unterzubringen, damit ihm dort geholfen werden konnte.
    Julia lebt noch immer bei ihrer Mutter auf Martha’s Vineyard. Nachdem ihre Affäre mit Garret ans Licht gekommen war, übertrug sie das Sorgerecht für Tess freiwillig dem Sozialamt. Sie wurde keines Verbrechens angeklagt, obgleich Anderson, O’Donnell und ich überzeugt sind, dass sie von Anfang an vermutet hatte, dass Garret der Mörder war, diesen Verdacht aber nicht der Polizei mitgeteilt hatte, um ihr Geheimnis zu wahren. Doch zu beweisen, dass sie sich der Beihilfe schuldig gemacht hatte, war so gut wie unmöglich. Es gab keine handfesten Beweise, die sie mit irgendeinem Verbrechen in Verbindung brachten. Und nicht einmal Bezirksstaatsanwalt Harrigan war bereit, sich auf einen so aussichtslosen Kampf einzulassen.
    Claire Buckley ist inzwischen offiziell zu Darwin Bishops Verlobter aufgestiegen. Sie wartet in einem netten kleinen Trump-Parc-Studio-Apartment auf ihn – dem Einzigen, was von Bishops Reichtum noch übrig ist. Sie sagt, er würde ein noch größeres Vermögen denn je anhäufen, sobald er aus dem Gefängnis entlassen wird. Sie könnte Recht damit haben.
    Es kostete mich drei Monate und eine Menge Betteln und Schmeicheln, doch schließlich hatte ich das Sozialamt so weit, dass sie einwilligten, Billy bei mir in Chelsea wohnen zu lassen. Ich spiele jetzt den allein erziehenden Vater, und es gefällt mir, meistens zumindest. Die tote Katze war – natürlich – eine Finte von Garret, doch ich mache mir keine Illusionen über Billys Fähigkeit, sich von all seinen psychologischen Narben zu befreien. Aber ich habe Hoffnung, was ihn betrifft. Und ich bete, dass ich ihm dabei helfen kann, genügend Selbstvertrauen zu gewinnen, um hoch erhobenen Hauptes in die Zukunft zu gehen statt in die Vergangenheit.

1
    Sonnabend, 22. Juni 2002
    Lilly Cunningham blickte auf. Ich schmolz dahin. Sie war neunundzwanzig und hatte hellblaue Augen, in denen man versinken konnte. Ihr blondes, lockiges Haar war so seidig, dass man es berühren wollte. Ihre hohe Stirn zeugte von Intelligenz, während der sanfte Schwung ihrer Nase ihrem Gesicht Anmut verlieh. Sie besaß volle Lippen, Grübchen auf den Wangen und einen langen, schlanken Hals. Ein schlichtes Goldkreuz an einer zarten Kette zeigte auf die Wölbungen ihrer Brust und ihres Bauchs, die sich unter dem dünnen weißen Laken hoben und senkten.
    Ein Teil von mir wollte nicht aufhören, Lillys Schönheit zu bewundern, doch ein anderer, entscheidenderer Teil von mir liebt die Wahrheit, und die ist fast immer hässlich. Mein Blick wanderte zu ihrem entblößten Schenkel.
    Das Fleisch war von der Lendenbeuge bis zum Knie entzündet. An einigen Stellen war die Haut aufgeplatzt,
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