Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Infam

Infam

Titel: Infam
Autoren: K Ablow
Vom Netzwerk:
Merlot und mir selbst ein Glas Perrier einschenkte.
    »Prost«, sagte ich und reichte ihr ihr Glas.
    Sie bemerkte, dass ich Mineralwasser trank. »Keinen Wein?«
    »Ich kann nicht trinken.« Ich machte eine kurze Pause. »Um ehrlich zu sein, ich kann mehr trinken als sonst irgendjemand. Ich kann nur nicht mehr aufhören.«
    »Warum nicht?«
    »Warum was nicht?«
    »Warum kannst du nicht aufhören?«
    Einen Moment lang dachte ich, wir wären an der Sprachbarriere gescheitert und sie begriffe nicht, dass ich auf Entzug von Alkohol – und anderen Dingen – war. Doch dann sah sie mich mit demselben wissenden Blick an, mit dem sie mich im Café Positano gemustert hatte, und mir wurde klar, dass sie die Frage ernst meinte – und die Antwort hören wollte. Ich nickte. »Ich kann nicht aufhören, weil ich mich im Alkohol verliere. Und am Ende will ich mich dann nie wieder finden.«
    »Stimmt.«
    »Danke. Ich hasse es, wenn ich mich irre, was meine eigene Krankheit betrifft. Dann muss ich mich nämlich zwangsläufig fragen, ob ich mein Honorar wert bin.«
    Sie lachte. Die Bewegung offenbarte einen flüchtigen Blick auf ihr Dekolleté und die Spitzenborte eines schwarzen BHs. »Nein«, sagte sie. »Ich meine, ich verstehe.« Sie trank einen Schluck von ihrem Wein.
    Ich hatte trotzdem das Bedürfnis, es genauer zu erklären. »Es ist so, als hätte man Kopfschmerzen, und eine Tablette würde sie verschwinden lassen. Früher hat man die Schmerzen eben einfach ertragen, aber jetzt weiß man, dass man die Erlösung einfach schlucken kann. Also schluckt man mehr und mehr. Und in der Zwischenzeit löst sich das ganze Leben unter den Wogen der Gelassenheit auf.«
    »Ich verstehe es. Meine Mutter ist daran gestorben.«
    Ich kam mir wie ein Idiot vor. »An Alkoholismus.«
    »Ja. So etwas gibt es sogar in Brasilien.«
    »Es tut mir Leid. Ich …«
    Sie ließ mich am Fenster stehen und ging zu dem größten der fünf Gemälde an der Backsteinwand, die eine Längsseite des Lofts bildete. Es war eine knapp zwei mal drei Meter große Leinwand von Bradford Johnson, auf der die Rettung der Besatzung eines Segelschiffes durch ein anderes Schiff dargestellt war. Zwischen den Masten, hoch über der stürmischen See, war ein Seil gespannt, an dem sich ein Mann festklammerte, während er sich an der brüchigen Verbindung entlanghangelte. »Das gefällt mir sehr«, sagte sie.
    Ich trat neben sie. »Was gefällt dir daran?«
    »Ein Risiko einzugehen, um jemand anderem zu helfen.« Sie zeigte auf das noch intakte der beiden Schiffe. »Das da hätte einfach weitersegeln können.«
    Ihre Bemerkung ließ mich an den sechzehnjährigen Bishop-Jungen denken, dem wahrscheinlich nach Erwachsenenrecht der Prozess gemacht wurde und der einem Leben im Gefängnis entgegensah. Würden die Mühlen des Systems lang genug stillstehen, um ihm Gehör zu schenken? Dann überlegte ich, wie es sein würde, zu erfahren, wie er die Tiere gequält hatte, wie
er selbst
in Russland gequält worden war und wie Darwin Bishop eine seiner Töchter tot in ihrer Wiege gefunden hatte. Ich dachte daran, all die Eifersucht und Angst und Wut fühlen zu müssen, die in dieser Familie brodelten, um zu verstehen, ob sie sich zu Mord summiert haben könnten. »Was, wenn am Ende beide Schiffe sinken?«, fragte ich halb scherzhaft.
    »Dann ist es noch wunderbarer, ein Risiko eingegangen zu sein«, erwiderte sie.
    Tief in meinem Herzen stimmte ich ihr zu. Doch ich war dem Ertrinken in Trevor Lucas’ Flutwelle des Grauens zu nah gekommen und hatte seitdem einen gesunden Hang zu festem Boden. Ich verdrängte die Bishops aus meinen Gedanken und streckte meine Hand nach Justine aus, benutzte ihre Schönheit als Anker im Hier und Jetzt. Meine Hand fand die sanfte Wölbung ihres Arms, knapp über den Ellbogen, wanderte dann an ihrem Brustkorb hinab und hielt erst inne, als meine Finger sich in den Bund ihrer Hose geschoben hatten.
    Sie hauchte mir einen Kuss auf meine Lippen, dann lehnte sie sich zurück. »Vielleicht sollten wir nichts anfangen«, sagte sie. »Ich bin nur noch einen Tag in diesem Land.«
    Ich bin bereits Zeuge gewesen, wie Leben in einer kürzeren Zeitspanne gerettet oder zerstört wurden. Ich umfasste sie fester und zog sie an mich.
    Sonntag, 23. Juni 2002
    Ich riss die Augen auf und sah auf den Wecker auf dem Nachttisch – 7 Uhr 20 früh. Ich hatte das Gefühl, dass wir nicht allein waren. Meine Hand wanderte zu der Browning Baby Halbautomatik, die griffbereit zwischen dem
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher